Die Bundestagswahl 2025 in der Analyse
Die Union hat die Bundestagswahl gewonnen, blieb aber hinter den Erwartungen zurück – anders als die zweitplatzierte AfD. Ein großes Comeback feierte die Linkspartei. FDP und BSW sind an der Fünfprozenthürde gescheitert. Bei der FDP ziehen die Ersten bereits ihre Konsequenzen aus der Niederlage, während das BSW die Schuld lieber bei anderen sucht.
Als die ersten Prognosen am Wahlabend über die Bildschirme flimmerten, wurde im Konrad-Adenauer-Haus freundlich applaudiert. Echte Feierlaune wollte jedoch nicht aufkommen, trotz der Ankündigung von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, mal richtig »Rambo Zambo« zu machen.
Die Union ist zwar stärkste Kraft, bleibt aber mit 28,5 Prozent deutlich hinter den Erwartungen zurück. Es ist das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Parteigeschichte. Merz gelang es lediglich, seinen Vorgänger Armin Laschet zu übertreffen, der bei der Bundestagswahl 2021 24,2 Prozent erreicht hatte; an die Ergebnisse, die Angela Merkel einst einfuhr, reichte er nicht heran.
»Rambo Zambo«, aber nur ein bisschen
Merz hat bereits schnelle Gespräche über eine mögliche Koalition mit der SPD angekündigt. Die ist auf 16,4 Prozent abgestürzt (2021: 25,7 Prozent) und geht damit geschwächt in die Gespräche. Die Beliebtheitswerte von Merz sind zwar schlecht, aber die von SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz noch schlechter.
Wahlanalysen zeigen, dass die Wähler:innen der SPD immer weniger zutrauen, die Zukunft zu gestalten. Bei Umfragen zu den Kompetenzen haben sich die Werte der Sozialdemokrat:innen in vielen Bereichen im Vergleich zu 2021 halbiert. Selbst bei sozialdemokratischen Kernthemen wie der sozialen Gerechtigkeit und der Altersversorgung schnitt die SPD schlecht ab.
Schon im Wahlkampf ist es der AfD gelungen, die politische Debatte zu bestimmen und ihre Themen in den Mittelpunkt zu rücken.
Die geringsten Einbußen unter den Parteien der ehemaligen Ampelkoalition haben mit 11,6 Prozent die Grünen zu verzeichnen (2021: 14,7). Doch auch sie müssen herbe Niederlagen einstecken. So verlor die Partei nach 23 Jahren erstmals das Direktmandat in Friedrichshain-Kreuzberg. Der Wahlkreis ging stattdessen an den Linkspartei-Politiker Pascal Meiser.
Auch Spitzenkandidat Robert Habeck und die Parteivorsitzende Franziska Brantner verloren in Flensburg beziehungsweise Heidelberg ihre Direktmandate. Einen Tag nach der Wahl hat Habeck Konsequenzen gezogen und kündigte an, künftig keine Führungsrolle in der Partei mehr übernehmen zu wollen.
Hatte Friedrich Merz 2022 bei der Übernahme des CDU-Parteivorsitzes noch ankündigt, die Zahl der Wählerstimmen für die AfD zu halbieren, hat diese mit 20,8 Prozent ihren Wert von der Bundestagswahl 2021 verdoppelt (10,4); aufgrund der starken Wahlbeteiligung – 82,5 Prozent – hat die AfD die Zahl der für sie abgegeben Stimmen sogar mehr als verdoppelt.
Überraschendes Comeback der Linkspartei
Als zweitstärkste Kraft wird sie damit in der kommenden Legislaturperiode keine unwichtige Größe darstellen. Schon im Wahlkampf ist es der Partei gelungen, die politische Debatte zu bestimmen und ihre Themen in den Mittelpunkt zu rücken. Genüsslich konnte die AfD beobachten, wie die anderen Parteien ihre Programmpunkte nach und nach übernahmen. Sie kann nun darauf hoffen, sich im bundesdeutschen Parteiensystem weiter zu etablieren. Merz hat bereits unter Beweis gestellt, dass er bereit ist, Gesetzesvorhaben im Zweifel auch mit Unterstützung der AfD durchzusetzen.
Mit deutlich mehr Abgeordneten kann die AfD künftig ihre Infrastruktur weiter ausbauen. Die Zahl der Wahlkreisbüros dürfte ebenso wie die Zahl der Mitarbeiter:innen steigen und damit die lokale Verankerung der AfD fester werden. Profitieren könnten davon unter anderem extrem rechte Strukturen, die der Partei nahestehen.
Dem steht das überraschende Comeback der Linkspartei gegenüber. Lange sah es so aus, als könnte ihr der Sprung über die Fünfprozenthürde misslingen. Unter dem Stichwort »Aktion Silberlocke« sollten es die alten Haudegen Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch noch einmal richten und in ihren Wahlkreisen die Direktmandate sichern, um so den Einzug der Linkspartei in den Bundestag zu gewährleisten. Nun errang die Partei sogar sechs Direktmandate und erhielt 8,8 Prozent der Stimmen. Es ist das zweitbeste Ergebnis seit ihrer Parteigründung 2007.
Linkspartei bleibt ihrem Ressentiment gegen Israel treu
Der Austritt Sahra Wagenknechts und ihrer Getreuen erwies sich für die Linkspartei letztlich als Glücksfall. Es wirkt, als wäre eine Last von der Partei abgefallen. Nun kann sie sich nicht nur über deutlich mehr Wähler:innenzuspruch erfreuen, sie verzeichnete in den vergangenen Monaten zudem einen regelrechten Mitgliederboom. Seit dem Wechsel vieler alternder Querulant:innen zum BSW strömten Tausende, vor allem junge Menschen, in die Partei.
Allen Bekenntnissen der Erneuerung zum Trotz pflegt die Linkspartei jedoch weiterhin althergebrachte Feindbilder. Dem Ressentiment gegen den jüdischen Staat bleibt man beispielsweise treu, wie der Einsatz der Parteispitze für einen Auftritt der antizionistischen Agitatorin und UN-Sonderberichterstatterin für Palästina, Francesca Albanese, in Berlin zeigte.
Die vereinzelten Absagen von Veranstaltungen mit Albanese bezeichnete etwa die Parteivorsitzende Ines Schwerdtner auf X als »zutiefst verstörend«. Es müsse »möglich sein, offen über Menschenrechtsverletzungen im Gaza-Streifen zu sprechen – einschließlich des Vorwurfs eines Genozids«. Mit Ferat Koçak errang zudem ein bekannter Antizionist das Direktmandat in Berlin-Neukölln.
BSW musste Niederlage einstecken
Während die Linkspartei sich gestärkt zeigt, musste das BSW eine Niederlage einstecken. Der nach dem Einzug ins Europaparlament und den Wahlerfolgen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sicher geglaubte Sprung in den Bundestag blieb aus. Die Partei erreichte nur 4,97 Prozent und scheiterte damit knapp an der Fünfprozenthürde. Mit der Unterstützung der Anträge der Union zur Migration und dem damit verbundenen Schulterschluss mit der AfD hatte sich die Bundestagsgruppe des BSW in der Schlussphase des Wahlkampfs wohl verkalkuliert.
Insbesondere für die einflussreiche gewerkschaftsorientierte Strömung im BSW war damit eine rote Linie überschritten und viele exponierte Gewerkschaftsvertreter:innen kehrten der Partei den Rücken. Selbst lokale Mandatsträger:innen und führende Funktionär:innen distanzierten sich und verließen die Partei. Die bayerische IG Metall forderte ihren ehemaligen Spitzenfunktionär Klaus Ernst in einem offenen Brief gar auf, seine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft zu überdenken.
Als die Umfragewerte kurz vor dem Wahltermin sanken, versuchte es das BSW noch mit Verschwörungstheorien. Am 19. Februar behauptete Oskar Lafontaine auf Facebook über seine ehemalige Partei, die Linkspartei, sie sei »von deutschen Leitmedien, vom Spiegel bis zur Bild, hochgeschrieben und mit Vehemenz von der Kampagnenorganisation Campact unterstützt« worden.
Lafontaine sucht die Schuld bei Soros
Campact wiederum, so Lafontaine weiter, werde von der Bundesregierung und dem jüdischen Philanthropen George Soros gesponsert. Darin liege die Antwort für den »verblüffenden Aufstieg« der Linkspartei »in den sozialen Medien«. Am Tag nach der Wahl knüpfte Wagenknecht daran an. In einer Pressekonferenz stellte sie nicht nur die Rechtmäßigkeit der Wahl in Frage, sondern gab zudem Medien und Umfrageinstituten die Schuld für das knappe Scheitern ihrer Partei. So habe das Meinungsforschungsinstitut Forsa dem BSW stets zu niedrige Werte ausgewiesen und die Medien hätten jede Möglichkeit genutzt, die Partei schlecht darzustellen, und deren Positionen gezielt ignoriert. Belege lieferte Wagenknecht für ihre Behauptungen nicht.
Auch die FDP hat es nicht in den Bundestag geschafft (4,3 Prozent). Obwohl sich die Liberalen immer wieder dagegen verwahrten, wird ihnen die Hauptverantwortung für das Aus der Ampelkoalition zugeschrieben; die Partei gilt als notorisch unzuverlässig.
Teile der FDP hatten versuchten, durch eine inhaltliche Annäherung an die AfD in deren Wähler:innenschaft vorzudringen. Die miserablen Wahlergebnisse haben bewiesen, dass das nicht gefruchtet hat.
Ob sie ihre frühere politische Stellung wiedererlangen kann, ist eine offene Frage. In Sachen Wirtschaftsliberalismus und Klientelpolitik für Vermögende können sich die Freien Demokraten gegen Friedrich Merz kaum profilieren. In Fragen des gesellschaftlichen Liberalismus, bei Bürgerrechten oder den Rechten von Minderheiten, haben ihnen die Grünen längst den Rang abgelaufen.
Teile der FDP versuchten deshalb, durch eine inhaltliche Annäherung an die AfD in deren Wähler:innenschaft vorzudringen. Die miserablen Wahlergebnisse haben bewiesen, dass das nicht gefruchtet hat. Noch am Wahlabend kündigte der Parteivorsitzende Christian Lindner seinen Rückzug aus der Politik an. Einen Tag später folgte ihm Generalsekretär Marco Buschmann und gab seinen Rücktritt bekannt.
Erschienen in Jungle World 09/2025