Das sogenannte Entlastungspaket, mit dem die Bundesregierung den steigenden Energiepreisen entgegenwirken will, ist vor allem auf die Bedürfnisse der besserverdienenden Mittelschicht zugeschnitten.
Das kollektive »Wir« wird hierzulande immer dann in Anschlag gebracht, wenn es gilt, dem lohnabhängigen Staatsvolk zu verdeutlichen, dass es zum Wohle der Nation den Gürtel enger zu schnallen hat. Angesichts der ökonomischen Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine und der darauf folgenden Sanktionen stimmt die Politik das nationale Kollektiv auf die kommende Absenkung des Lebensstandards ein. »Wir werden dadurch ärmer werden«, stellt etwa Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) mit Blick auf den drastischen Anstieg der Energiepreise und drohende Engpässe klar. »Wir können auch mal frieren für die Freiheit«, betont der Berufsprediger und Bundespräsident a. D. Joachim Gauck und verkündet Hartz-IV-Empfängern, Leiharbeitern, Minijobbern und sonstigem Pöbel: »Eine generelle Delle in unserem Wohlstandsleben ist etwas, was Menschen ertragen können.«
Nun wissen die politisch Verantwortlichen jedoch, dass die Opferbereitschaft ihrer Bürger/innen für Demokratie und Freiheit arg begrenzt ist – erst recht, wenn es nur um die Freiheit von Ukrainern geht. Insbesondere die vielbeschworene und politisch umworbene Mittelschicht hat sich mit ihrem »Wohlstandsleben« durchaus arrangiert. Allzudrastisch darf die Delle also nicht ausfallen, will man nicht den Unmut des Wahlvolks auf sich ziehen. Um wenigstens den Eindruck von Handlungsfähigkeit zu vermitteln, verkündete die Bundesregierung im Rahmen der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag medienwirksam ein sogenanntes Entlastungspaket.
Kern der Maßnahmen ist eine einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro; ein staatlicher Zuschuss, den alle einkommensteuerpflichtigen Erwerbstätigen demnächst mit dem Monatslohn ausgezahlt bekommen. Die Unternehmen holen sich diese Ausgaben dann wieder vom Staat zurück. Die Pauschale ist jedoch zu versteuern. In ihrem Ergebnispapier verkauft die Ampelkoalition diesen Umstand als soziale Komponente, müssen doch Besserverdienende einen höheren Anteil der Pauschale an den Staat zurückführen als die Bezieher von geringeren Einkommen.
Tatsächlich sind von der Energiepreispauschale jedoch ausgerechnet diejenigen ausgenommen, die auf Unterstützung angesichts deutlich erhöhter Energie- und Lebenshaltungskosten besonders angewiesen sind. Millionen Rentner/innen und Studierende erhalten den staatlichen Zuschuss ebensowenig wie die meisten Auszubildenden und viele Geringverdiener. Dabei leben gerade Niedriglohnbezieher besonders häufig in schlecht isolierten Wohnungen mit veralteten Heizsystemen. Sie sind es auch, die den wiederholten Aufrufen, doch Energie zu sparen, nicht nachkommen können. Sie haben in der Regel keine Ersparnisse, und ihr verfügbares Einkommen erlaubt es ihnen nicht, ihren Kühlschrank, ihre Waschmaschine oder ihren Herd gegen eine klima- und letztlich kosteneffiziente Alternative auszutauschen. Für immer mehr Geringverdiener werden die steigenden Energiekosten somit zum Armutsrisiko, und sie müssen entweder anderswo harte Einschnitte machen oder können ihre Wohnräume nicht mehr ausreichend beheizen. Allein im Pandemiejahr 2020 wurde 230.000 Verbrauchern der Strom und 24.000 das Gas abgestellt. Viele erwarten schon mit Sorge die im Frühjahr anstehende Jahresabrechnung der Heiz- und Stromkosten.
Ausgenommen von der Energiepreispauschale sind auch die Bezieher von Grundsicherung. Sie erhalten statt dessen nur einen einmaligen Zuschuss von 100 Euro. Selbst die Jobcenter, sonst nicht gerade als Interessenvertretung Erwerbsloser bekannt, schlagen Alarm. In einem gemeinsamen Brief warnen die Leitungen der Jobcenter aus Nordrhein-Westfalen Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und fordern die Politik dringend zum Handeln auf. Vor allem die steigenden Stromkosten, die von den Ämtern nicht in voller Höhe übernommen werden, sondern im Regelsatz durch eine Pauschale von 38,07 Euro pro Monat für »Wohnen, Energie, Wohninstandhaltung« abgedeckt werden, würden viele Hartz-IV-Empfänger laut dem Schreiben in existentielle Nöte stürzen. »Nach unserer Überzeugung werden im Laufe dieses Jahres sukzessive immer mehr Leistungsbeziehende von Energiearmut in einem bisher nicht gekannten Ausmaß betroffen sein. Mit dem Erhalt der Jahresabrechnung von den Energieversorgungsunternehmen beziehungsweise der Heizkostenabrechnung von Vermietern werden die Leistungsbeziehenden sowohl mit höheren Abschlagszahlungen für die Zukunft als auch in vielen Fällen mit erheblichen Nachforderungen für die Vergangenheit konfrontiert werden«, erklärten die Jobcenter. Geradezu zynisch wirkt da der Hinweis im Ergebnispapier der Ampelkoalition. Es sei davon auszugehen, dass »zum 1. Januar 2023 die Regelbedarfe die hohen Preissteigerungen abbilden und damit angemessen erhöht werden«. Für die meisten Betroffenen dürfte dies schlicht zu spät kommen.
Zugeschnitten ist die Energiepreispauschale damit voll und ganz auf die besserverdienende Mittelschicht und damit auf die Wählerklientel der Regierungsparteien – insbesondere auf die der beiden kleineren Koalitionspartner. Dies trifft auch auf die zweite Säule des Maßnahmenpakets der Bundesregierung zu: den Kampf gegen steigende Spritpreise. Für drei Monate sollen die Steuern auf Kraftstoffe gesenkt werden, um den Preis für einen Liter Benzin um 30 Cent, den für Diesel um 14 Cent zu mindern. Dass ausgerechnet die Grünen, kaum an der Regierung, für einen staatlichen Tankrabatt votieren und sich die Senkung der Spritpreise auf die Fahne geschrieben haben, entbehrt nicht einer gewissen Ironie und dürfte Christian Lindner (FDP) ein zufriedenes Lächeln ins Gesicht zaubern. Nicht zuletzt um dem Eindruck entgegenzuwirken, ausschließlich den Automobilverkehr zu subventionieren, setzten die Grünen in der Bundesregierung außerdem für drei Monate ein staatlich bezuschusstes Ticket für den öffentlichen Personennahverkehr zum Preis von neun Euro im Monat durch.
Den Tankrabatt präsentieren die Ampelkoalitionäre als Entlastung für »alle, die auf das Auto angewiesen sind«. Tatsächlich profitieren jedoch auch von dieser Maßnahme Besserverdienende überproportional. Sie fahren statistisch die größeren Autos mit höherem Spritverbrauch. »Das bedeutet, dass man Autofahren nach Hubraum subventioniert: Je mehr man tankt, desto größer der Rabatt«, kritisiert Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, die Maßnahmen der Bundesregierung.
Einkommensschwache Haushalte stehen angesichts der enormen Preissteigerungen ohnehin vor weit tiefgreifenderen Problemen. Ihnen geht inzwischen schlicht das Geld für grundlegende Waren aus. Bereits im vergangenen Jahr stiegen die Preise im Schnitt um 3,1 Prozent – die höchste Inflationsrate seit fast 30 Jahren. Im Januar kletterte die Inflation auf 4,9 Prozent, im Februar auf 5,1 Prozent, im März schließlich auf das Rekordhoch von 7,3 Prozent und damit auf den höchsten Wert seit der Ölkrise 1973. Insbesondere die Teuerung bei Lebensmitteln wie Milchprodukten oder frischem Obst und Gemüse wird für die unteren 20 Prozent der Einkommensskala zunehmend zur existentiellen Belastung. So melden immer mehr Lebensmitteltafeln in Deutschland, dass sie aufgrund des Ansturms in den vergangenen Wochen nicht mehr in der Lage sind, ihre Kunden ausreichend zu versorgen. Die Maßnahmen der Bundesregierung werden daran nichts ändern. Je ärmer, desto geringer fällt die finanzielle Unterstützung aus. Das sogenannte Entlastungspaket ist so vor allem ein Paket zur Verstetigung struktureller Armut.
Entsprechend scharf fällt die Kritik von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden aus. Verena Bentele, Vorsitzende des größten deutschen Sozialverbandes VdK, kritisiert in einer Pressemitteilung das Maßnahmenpaket als »sozialpolitisch extrem unausgewogen«. Der 100-Euro-Zuschuss für Grundsicherungsempfänger ist in ihren Augen »ein schlechter Witz«. Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland (SoVD), hält die Ausnahme von Ruheständlern für eine »grobe Ungerechtigkeit«. Und für Ulrich Schneider ist das Paket »gekennzeichnet von einer sehr starken sozialen Schieflage«. Sein Fazit fällt eindeutig aus: »Das Paket ist eines Sozialstaates unwürdig.«
Verstummt ist hingegen die Kritik der Gewerkschaften. Im Vorfeld der Haushaltsberatungen stellte sich Frank Werneke, Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, noch vehement gegen die Idee staatlicher Tankrabatte.
»Sportwagenfahrer und Unternehmen mit Dienstwagenflotten brauchen ebensowenig finanzielle Unterstützung des Staates wie die Spekulanten an den Treibstoffbörsen«, so Werneke. Es gelte statt dessen, »dringend und unbürokratisch Menschen mit eher niedrigen, aber auch ganz durchschnittlichen Einkommen zu unterstützen«. Dabei verwies er explizit auf die Empfänger von Grundsicherung.
Nach der Verabschiedung des Maßnahmenpakets stellten sich die Gewerkschaften dagegen hinter die Ampelkoalition. Verdi lobte die Maßnahmen als »einen begrüßenswerten Schritt zur Entlastung«, und auch der DGB begrüßte in einer Pressemitteilung das Entlastungspaket. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann, der sich aufgrund seiner Nibelungentreue gegenüber der SPD-Parteispitze in der Vergangenheit immer wieder Kritik ausgesetzt sah und die Gewerkschaften in seiner Amtszeit in ein enges Bündnis mit der Sozialdemokratie geführt hat, betonte, die Beschlüsse gingen »absolut in die richtige Richtung«. Gerade aufgrund der international angespannten Lage und deren wirtschaftlichen Auswirkungen sei es »ganz wichtig, dass wir eine Bundesregierung haben, wo die Spitze mit dem Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD geführt wird«.
Während das Entlastungspaket bei der Haushaltsdebatte im Bundestag im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stand, trat eine andere wichtige Weichenstellung in den Hintergrund. Finanzminister Christian Lindner kündigte an, die im Zuge der Corona-Pandemie ausgesetzte Schuldenbremse ab 2023 wieder in Kraft zu setzen. Der Aufnahme neuer Schulden, um die anhaltenden Krisenerscheinungen abzufedern, sind damit enge Grenzen gesetzt. In der Krise müsse der Staat handeln, verkündete Lindner zur Begründung. Nach der Krise jedoch müsse zur Normalität zurückgekehrt werden. »Diese Rückkehr zur Normalität ist das haushaltspolitische Ziel der Bundesregierung.«
Das darf – wie überhaupt die Rückkehr zur sogenannten Normalität – durchaus als Drohung verstanden werden, ist doch die Abwälzung der Krisenkosten auf die Lohnabhängigen stets Teil des kapitalistischen Normalbetriebs. Einen Vorgeschmack darauf liefert die parallel zum Entlastungspaket angekündigte Anhebung der Krankenkassenbeiträge zur Schließung der durch die Corona-Pandemie entstandenen Lücken. Mit ähnlichen Maßnahmen ist auch bei der durch die Auszahlung des Kurzarbeitergeldes ins Wanken geratenen Arbeitslosenversicherung zu rechnen. Zumindest von den Gewerkschaften haben die Ampelkoalitionäre dabei kaum Widerstand zu erwarten, wie unter anderem die zuletzt abgegebenen Ergebenheitsadressen zeigen.