Die Ausbeutung hat immer Saison

Erntehelfer*innen in Deutschland

Die deutsche Landwirtschaft basiert auf der systematischen Entrechtung und Ausbeutung migrantischer Beschäftigter. Die gewerkschaftliche Organisierung der Betroffenen ist der Schlüssel zur Verbesserung der prekären Arbeits- und Lebensverhältnisse.

Osterwochenende 2020. Fast 2.000 Menschen drängen sich dicht an dicht im Wartebereich des Flughafens im rumänischen Cluj. Während im Zuge der Corona-Pandemie in ganz Europa Ausgangsbeschränkungen und die Schließung ganzer Wirtschaftszweige den Alltag bestimmen, werden immer mehr Menschen in überfüllten Reisebussen aus dem ganzen Land an den kleinen Flughafen gebracht. Grund für den Ansturm sind drei Sondermaschinen, die an diesem Tag in Richtung Deutschland abheben. Kurz zuvor hatte die Bundesregierung den Weg dafür geebnet Erntehelfer*innen mit Charterflügen ins Land zu bringen. Mitten in einer weltweiten Pandemie und bei geschlossenen Binnengrenzen wurden so Zehntausende migrantische Saisonarbeitskräfte zur Ernte nach Deutschland geflogen.

Ernte in Deutschland: Katastrophale Bedingungen für Saisonarbeitskräfte

Die hektischen Maßnahmen der Bundesregierung im Zuge der Corona-Pandemie, zeigen wie stark die deutsche Landwirtschaft auf den Import billiger Arbeitskraft aus Osteuropa angewiesen ist. Rund 1,1 Millionen Menschen arbeiten haupt- und nebenberuflich in der deutschen Landwirtschaft – fast 300.000 von ihnen sind Saisonarbeitskräfte aus Osteuropa. Ohne diese modernen Wanderarbeiter*innen wäre die Erntezeit nicht zu bewältigen – vom Spargelstechen im April, über die Erdbeerernte im Juni, bis zur Weinlese, die Mitte Oktober endet. Durch die von der Bundesregierung initiierte »Spargel-Luftbrücke«, gerieten auch die Arbeitsbedingungen der »für einen kurzen Moment sichtbar gewordenen unsichtbaren Erntehelfer«, wie der Sozialwissenschaftler Stefan Sell schrieb, in den Fokus der Öffentlichkeit.

Katastrophal waren die Bedingungen, unter denen Saisonarbeitskräfte in Deutschland zu leben und zu arbeiten gezwungen sind, jedoch bereits vor der Pandemie. Dies zeigt ein Blick in die Veröffentlichungen der Initiative Faire Landarbeit. Ein Bündnis, dem unter anderem die IG BAU, die DGB-Beratungsstellen für mobile Beschäftigte Faire Mobilität und der Europäische Verein für Wanderarbeiterfragen (EVW) angehören und das nicht nur versucht, die Situation von Erntehelfern*innen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken, sondern die Betroffenen auch über ihre Rechte informiert und sie bei sozial- und arbeitsrechtlichen Problemen unterstützt. In einem jährlichen Bericht beschäftigen sie sich mit der Ausbeutung auf deutschen Feldern.

Diese beginnt bereits bei der Anwerbung. Darauf spezialisierte Agenturen locken die Erntehelfer*innen mit zahllosen Versprechungen. Suggeriert wird ihnen meist nicht nur eine gute Bezahlung nach deutschen Standards, sondern auch eine kostengünstige Unterbringung und Versorgung, soziale Absicherung und geregelte Arbeitszeiten. Für diese Vermittlung werden den Saisonarbeiter*innen hohe Summen in Rechnung gestellt. In Deutschland angekommen entpuppen sich die versprochenen kostenlosen Unterkünfte nicht selten als Baracken, für die – anders als bei der Anwerbung behauptet – horrende Summen vom Lohn einbehalten werden. Meist werden die Erntehelfer*innen direkt auf den Höfen untergebracht.

Dort schlafen sie, teils zu zehnt, in einem heruntergekommenen Zimmer ohne ausreichende sanitäre Anlagen oder in ehemaligen Scheunen und Holzverschlägen. Inzwischen wird zudem häufig auf Wohncontainer zur Unterbringung zurückgegriffen. Die Containersiedlungen sind abgeschieden am Rande des Betriebsgeländes gelegen, sodass die Saisonkräfte von der Außenwelt abgeschottet leben. Die Abschottung dient nicht zuletzt der Verschleierung der menschenunwürdigen Unterbringung und Arbeitsbedingungen. Nicht nur überhöhte Unterkunfts- und Verpflegungskosten, auch hohe Lohnabzüge für Arbeitsschutzkleidung und Arbeitsgeräte sind im landwirtschaftlichen Sektor die Regel.

Faire Mobilität beklagt massiven Arbeitszeit- und Lohnbetrug

Die Arbeit auf den Feldern ist ein Knochenjob. Wochenlang täglich 12-14 Stunden harte körperliche Arbeit, unterbrochen nur von wenigen Pausen und seltenen Ruhetagen. Am Ende dieser harten Arbeit sind die Erntehelfer*innen mit einem massivem Arbeitszeit- und Lohnbetrug konfrontiert. Neben den bereits erwähnten hohen Abzügen für Unterkunft, Verpflegung und Arbeitsmittel gibt es noch zahlreiche andere Methoden, um den Beschäftigten den Mindestlohn vorzuenthalten.

Die meisten Anfragen in Beratungsstellen wie denen von Faire Mobilität betreffen eklatante Abweichungen zwischen den tatsächlich gearbeiteten und den ausgezahlten Stunden. Arbeitsverträge oder Lohnzettel werden häufig nicht ausgehändigt. Stundenzettel werden arbeitgeberseitig ohne Abgleich mit den Beschäftigten ausgefüllt. Teils müssen die Erntehelfer*innen bereits bei ihrer Anreise Blankolisten unterschreiben, die vom Arbeitgeber nach Gutdünken ausgefüllt werden. Aus 12 oder 14 Stunden Arbeit werden so schnell nur noch vier oder sechs.

Die Corona-Pandemie hat die Situation der Wanderarbeiter*innen noch einmal deutlich verschlechtert. Zu den ohnehin schon prekären Arbeitsverhältnissen kam die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus. Immer wieder kam es zu Masseninfektionen auf deutschen Höfen. Nicht zuletzt dank der engagierten Öffentlichkeitsarbeit der IG BAU und Beratungsstellen wie der Fairen Mobilität gerieten im Zuge der Corona-Pandemie zwar die Arbeits- und Lebensbedingungen der Saisonabeitskräfte für kurze Zeit in den Fokus der Öffentlichkeit. An den ausbeuterischen Verhältnissen in der deutschen Landwirtschaft hat sich jedoch bis heute wenig verändert. Von der Politik haben die Wanderarbeiter*innen – allen gegenteiligen Versicherungen zum Trotz – kaum Unterstützung zu erwarten.

So steht die Ratifizierung der 2003 verabschiedeten ILO-Konvention über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft durch die deutsche Bundesregierung immer noch aus. Auch der Kontrolldruck auf die landwirtschaftlichen Betriebe bleibt gering. Derzeit ist ein Kontrolleur für 1500 Betriebe zuständig. Zudem haben sich die Ampelparteien in ihrem Koalitionsvertrag zwar zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Wanderarbeiter*innen verpflichtet, konkrete politische Maßnahmen lassen jedoch bis heute auf sich warten.

Gewerkschaften: Jahresmitgliedschaft für Saisonarbeiter*innen

Deutlich wird dies bei der Schaffung der im Koalitionsvertrag vereinbarten »vollen Krankenversicherungsschutz ab dem ersten Tag« für Saisonarbeitskräfte. Umgesetzt wurde stattdessen jedoch nur eine Krankenversicherung light, bei der die landwirtschaftlichen Betriebe auf eine private Gruppenversicherung zurückgreifen können. Solche Kollektivversicherungen bieten jedoch bei weitem nicht denselben Leistungsumfang wie die gesetzliche Pflichtversicherung. In vielen Fällen sind die Erntehelfer*innen bei Krankheit erneut auf sich gestellt.

Die Verbesserung ihrer Situation müssen die Wanderarbeiter*innen also selbst in die Hand nehmen – mit einer starken Gewerkschaftsbewegung an ihrer Seite. Mit ihrer Jahresmitgliedschaft hat die IG BAU als erste Gewerkschaft des DGB ein Modell geschaffen das speziell auf migrantische Saisonarbeitskräfte zugeschnitten ist. Tatsächlich wuchs in den vergangenen Jahren – alle Widrigkeiten zum Trotz – auch der Widerstand der Betroffenen.

Erfolg durch gewerkschaftliche Organisation

Immer wieder kam es zu Arbeitsniederlegungen und Protesten in landwirtschaftlichen Betrieben. Auch juristisch wehren sich immer mehr Erntehelfer*innen. Das Beratungsaufkommen gewerkschaftlicher Beratungsstellen wie Faire Mobilität steigt kontinuierlich. Viele von der Initiative Faire Landarbeit oder der IG BAU genannten Beispiele zeigen: Erfolg, Ihre Ansprüche durchzusetzen hatten die Beschäftigten immer dann, wenn es ihnen gelang, sich zu organisieren und in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und anderen Unterstützer*innen für ihre Rechte einzutreten.