Subunternehmer und Werkverträge erhöhen die Gewinnspanne der Unternehmen
Am Subunternehmertum zeigt sich besonders deutlich, wie sich die Arbeitsbeziehungen im postmodernen Kapitalismus verändern. Wie viele Menschen genau in prekären Arbeitsverhältnissen stecken, weiß keiner.
Mit markigen Worten wandte sich Hubertus Heil im Mai an die Öffentlichkeit. Es sei Zeit, in der Fleischindustrie »aufzuräumen und durchzugreifen«, so der sozialdemokratische Bundesarbeitsminister. Zuvor war es in vielen Schlachthöfen aufgrund der prekären Arbeitsbedingungen und katastrophalen Unterbringung der meist osteuropäischen Wanderarbeiter zu zahlreichen Sars-CoV-2-Infektionen gekommen. Als Wurzel des Übels benannte Heil die »Konstruktion von Sub-Sub- und Subunternehmertum«, der er mit einem Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie ein Ende bereiten möchte. Mit der Ökonomie der Werkverträge und des darauf basierenden Subunternehmertums geriet in der Covid-19-Pandemie ein Geschäftsmodell in die öffentliche Aufmerksamkeit, das wie kaum ein zweites die Prekarisierung der Arbeitswelt vorantreibt.
In zahlreichen Branchen sind Werkverträge und unübersichtliche Ketten von Subunternehmen gang und gäbe, beispielsweise in der Logistik, der Gebäudereinigung, im Einzelhandel oder im Baugewerbe.
Bestimmte Aufgaben aus einem Unternehmen auszulagern, gehört seit vielen Jahren zu den üblichen unternehmerischen Strategien zur Gewinnmaximierung. Was vorher Festangestellte erledigten, sei es die Reinigung der Büroräume oder die Essensausgabe in der Kantine, besorgt jetzt mittels eines Werkvertrags – zu weitaus günstigeren Konditionen – ein Drittanbieter. Nicht selten führt auch dieser die Tätigkeiten nicht aus, sondern vergibt sie zum Teil oder in Gänze an ein weiteres Subunternehmen. So entstehen ganze Ketten von Subunternehmen. An deren Ende stehen häufig prekäre Soloselbständige, die als Werkvertragsnehmer beschäftigt sind. In vielen Branchen wurden in den vergangenen Jahren mit Hilfe von Werkverträgen nicht nur Teilbereiche ausgegliedert, sondern faktisch die gesamte Produktion. So beispielsweise in der Fleischindustrie, in der nicht nur die Schlachtung, sondern auch die Kommissionierung (das Zusammenstellen von Warenlieferungen für den Versand), die Verpackung und der Transport überwiegend von Werkvertragsnehmern aus Osteuropa erledigt werden.
Für die Unternehmen hat die Beschäftigung von Soloselbständigen zahlreiche Vorteile gegenüber der Festanstellung. Für Soloselbständige gelten keine Arbeitsschutz- oder Arbeitszeitgesetze, sie haben keinen Urlaubsanspruch, müssen nicht sozial- oder krankenversichert werden und für sie gelten weder der Mindestlohn noch tarifvertragliche Regelungen. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutz, gesetzliche Pausen oder Höchstarbeitszeitregelungen gelten für Werkvertragsnehmer nicht. Darüber, wie viele Menschen in solchen prekären Werkvertragsverhältnissen stecken, kann man nur spekulieren. Genaue Zahlen hat selbst das Bundesarbeitsministerium nicht. Da diese Arbeitskräfte nicht als Arbeitnehmer gelten, werden sie in der Buchhaltung der Unternehmen auch nicht im Personalkostenbudget geführt, sondern unter Sachkosten – wie der Gabelstapler im Lager oder das Kopierpapier im Büro.
Nachdem das Bundeskabinett Heils Vorschlag gefolgt war, Werkverträge in der Fleischindustrie zu verbieten, übertrafen sich Medien, Gewerkschaften und Sozialverbände mit Lobeshymnen. Von einem Ende des Werkvertragssystems und einem Zurückdrängen prekärer Arbeit war die Rede. Dabei ist noch unklar, wie die gesetzliche Neuregelung genau aussehen soll und wie wirksam sie sein wird. CDU-Politiker und Industrieverbände arbeiten bereits öffentlich auf die Verschiebung und Verwässerung der Gesetzesinitiative hin.
Wenig realistisch scheint die Hoffnung, dass das Vorgehen gegen das Subunternehmertum in der Fleischbranche eine allgemeine Zurückdrängung von Werkverträgen einläuten könnte. Denn der Grund für die staatliche Intervention bei in den Schlachthöfen sind nicht primär die bereits seit Jahren bekannten katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen der Betroffenen, sondern es ist die Angst davor, dass die Infektionen in den Schlachthöfen in manchen Regionen zu einer neuerlichen Beschränkung der Kontaktmöglichkeiten mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft führen konnten. Die Zustände in den Schlachtfabriken »gefährden die lokalen Lockerungen, die wir gemeinsam erreicht haben – und damit das Leben in den betroffenen Regionen«, so begründete Heil seinen Vorstoß.
Anderswo dürfte sich der Boom des Subunternehmertums also ungehindert fortsetzen. In zahlreichen Branchen sind Werkverträge und unübersichtliche Subunternehmerketten gang und gäbe und betreffen viel Beschäftigte, beispielsweise in der Logistik, der Gebäudereinigung, im Einzelhandel oder im Baugewerbe. Gerade dort dienen die Subunternehmerketten nicht zuletzt dazu, Beschäftigte um ihren Lohn zu prellen. Ein besonders auffälliges Beispiel dafür liefert die »Mall of Berlin«. Für den Bau des im Herbst 2014 eröffneten Vorzeigeprojekts wurden mittels diverser Subunternehmen Hunderte Arbeiterinnen und Arbeiter aus Rumänien zu Dumpinglöhnen von sechs Euro die Stunde angeworben. Nach Ende der Bauarbeiten sollten die Betroffenen selbst um den vereinbarten kargen Lohn betrogen werden. Ein Vorgehen, das auf deutschen Baustellen zum Alltag gehört; diesmal allerdings wehrten sich einige der Betroffenen. Mit Unterstützung der FAU Berlin und einer medienwirksamen Kampagne wurde der Fall der »Mall of Shame« öffentlich.
Es folgte ein Lehrstück der Ökonomie des Subunternehmertums. In mehreren Arbeitsgerichtsprozessen bekamen die Betroffenen immer wieder recht. Zunächst machten sie ihre Lohnforderungen bei den verantwortlichen Subunternehmen geltend, dann gegen das Generalunternehmen für den Bau des Einkaufszentrums. Die Unternehmen verweigerten jedoch allesamt die Auszahlung der Löhne, entzogen sich den Forderungen durch Insolvenz oder tauchten wie eines der Subunternehmen vollkommen ab. Die Briefkastenfirma war für die Kläger wie auch die Gerichte irgendwann einfach nicht mehr kontaktierbar. In der Branche flüchten Subunternehmen bei Problemen mit Behörden und Gerichten häufig in die Insolvenz, um später unter anderem Namen wieder aufzutauchen. Den Betroffenen ist es zwar gelungen, die Situation migrantischer Arbeitskräfte im Baugewerbe in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken, ihr Geld haben sie jedoch auch nach fünfjährigem Rechtsstreit nicht erhalten. Was in der Baubranche Alltag ist, setzt sich auch in anderen Branchen durch.
Das Subunternehmertum ist aus der Ökonomie des postmodernen Kapitalismus kaum noch wegzudenken und zeigt am deutlichsten, wie sich in in den industriellen Zentren die Arbeitsbeziehungen immer weiter informalisieren. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse, wie sie seit langem die Ökonomie der ehemaligen industriellen Peripherie prägen, halten seit Jahren auch in den klassischen Industrieländern Einzug. Kurz gesagt: In den Branchen – zum Beispiel der Nahrungsmittelindustrie oder der Bauwirtschaft –, die nicht nach Asien oder Osteuropa ausgelagert wurden, findet eine Übertragung der dortigen Lohnbedingungen und Arbeitsbeziehungen nach Deutschland statt.
Prekäre, informelle Arbeitsverhältnisse wie die Scheinselbständigkeit mittels Werkverträgen rücken immer weiter in die verbliebenen Kernbereiche der Produktion vor. So steigt die Zahl der Werkvertragsnehmer an den Bändern der deutschen Automobilindustrie ebenso wie bei deren Zulieferern oder im Maschinenbau. Bei BMW in Leipzig, in der modernsten Automobilfabrik Deutschlands, sind von den insgesamt 8 800 Beschäftigten gerade einmal 3 800 fest angestellt. 1 000 arbeiten hingegen als Leiharbeitnehmer und rund 4 000 als Werkvertragsnehmer. Ihnen allen wird das jüngste Vorhaben des Arbeitsministers nicht helfen.
Erschienen in Jungle World 26/2020