Das Entgelttransparenzgesetz hat an den Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen nichts geändert.
Das vor einem Jahr in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz sorgt weder für mehr Transparenz noch für einen Abbau der Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen.
Rund 21 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen verdienen Frauen nach Angaben des Statistischen Bundesamts. Die Gründe für diesen gender pay gap genannten Lohnunterschied sind vielfältig: familienbedingte Erwerbsunterbrechungen, ein hohes Maß an Teilzeitbeschäftigung, die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen und nicht zuletzt die schlechtere Bezahlung von sozialen Dienstleistungsberufen im Vergleich zu technischen Tätigkeiten.
Doch selbst wenn man die Berechnung des Lohnunterschieds um all diese Einflussfaktoren bereinigt, bleibt eine strukturelle Ungleichbehandlung von Frauen. Arbeiten Männer und Frauen in der gleichen Position, mit gleicher Erfahrung und Qualifikation, ergibt sich noch immer eine Lohndifferenz, der sogenannte bereinigte gender pay gap, von 4,5 Prozent.
Das in seiner jetzigen Form im Januar 2018 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz sollte hier eigentlich Abhilfe schaffen. Es verpflichtet die Arbeitgeber, Männern und Frauen für vergleichbare Arbeit gleich viel zu zahlen. In Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten gilt ein individueller Auskunftsanspruch. Beschäftigte können verlangen, dass ihnen der Arbeitgeber das durchschnittliche Gehalt der Kollegen des jeweils anderen Geschlechts nennt, die eine ähnliche Arbeit leisten. Dadurch sollen bestehende Ungleichheiten offengelegt und letztlich beseitigt werden. Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sollen zudem regelmäßig einen Bericht zur Entgeltgleichheit im Betrieb erstellen.
Beim Konzern Volkswagen mit seinen mehr als 300 000 Mit-arbeitern in Deutschland haben bisher nur zwei Beschäftigte ein Auskunftsersuchen zu Lohn-unterschieden gestellt.
Schon bei der Verabschiedung des Gesetzes wurde Kritik laut und dessen Wirksamkeit in Frage gestellt. So arbeiten etwa 60 Prozent der berufstätigen Frauen in Deutschland in kleinen und mittleren Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten und haben daher keinen Auskunftsanspruch. Eine Auskunft kann zudem nur dann erfolgen, wenn mindestens sechs Kollegen, die eine gleichwertige Tätigkeit ausüben, als Vergleichsgruppe zu Verfügung stehen.
Selbst wenn wegen einer Nachfrage eine Benachteiligung festgestellt wird, führt dies nicht automatisch zu einer Anpassung des Gehalts, stattdessen müssen die Betroffenen ihr Recht einklagen. Dabei sind sie auf sich selbst gestellt. Weder Betriebsräte noch Gewerkschaften können auf Grundlage des neuen Entgelttransparenzgesetzes gegen ungleiche Löhne vor Gericht ziehen. Die Linkspartei kritisierte das Gesetz bei seiner Verabschiedung daher als »Alibipolitik«, auch der DGB hielt es für ungeeignet, Lohnungleichheit zu beseitigen, und forderte stattdessen ein »Lohngerechtigkeitsgesetz« mit eindeutigen Rechtsansprüchen, das alle Betriebe umfasst.
Ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes ziehen nun zwei Studien unabhängig voneinander Bilanz und bestätigen die Befürchtungen von Opposition und Gewerkschaften. So befragte das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit dem Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung (INES Berlin) bei ihrer jährlichen Betriebsrätebefragung 3 600 betriebliche Interessenvertreter aus 2 300 Betrieben zur Anwendung des neuen Gesetzes. Demnach hat ein Großteil der Unternehmen noch keine Anstrengung bei der Umsetzung des Gesetzes unternommen. In gerade mal zwölf Prozent der Betriebe wurden die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen von der Geschäftsführung realisiert. »Offenbar fühlte sich nur ein kleiner Teil der Betriebe von der Aufforderung angesprochen, im Betrieb für Entgeltgleichheit zu sorgen«, so Helge Baumann, Christina Klenner und Tanja Schmidt in ihrer Untersuchung.
Doch auch bei den Beschäftigten stößt das Gesetz auf wenig Resonanz. In nur 13 Prozent der mittelgroßen Betriebe hat der Studie des WSI zufolge mindestens eine Person ein Auskunftsersuchen gestellt. Das Gesetz habe bisher »keine spürbaren Effekte«, lautet das Fazit der Forscherinnen und Forscher.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine vom arbeitgebernahen Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in Zusammenarbeit mit dem Personalvermittler Randstad realisierte Umfrage unter Personalleitern. Demnach haben in nur zehn Prozent der befragten Unternehmen Beschäftigte von ihrem Auskunftsanspruch Gebrauch gemacht.
Auch in Firmen, bei denen es überhaupt Anfragen gab, sind dies eher Einzelfälle, wie Recherchen der Süddeutschen Zeitung zeigen. Selbst in deutschen Großunternehmen bleibt deren Zahl demnach im einstelligen Bereich. So haben beispielsweise beim Volkswagen-Konzern mit seinen mehr als 300 000 Mitarbeitern in Deutschland bisher nur zwei Beschäftigte ein Auskunftsersuchen gestellt.
Den Grund für die geringe Wirksamkeit sehen die Gewerkschaften nicht nur in den hohen Hürden für den Auskunftsanspruch, sondern auch in den vielfältigen Tricks, mit denen Unternehmen versuchen, die sowieso alles andere als strengen gesetzlichen Vorschriften zu umgehen. »Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Arbeitgeber die Anfrage damit beantworten, dass es zu wenige Vergleichspersonen gäbe«, so ein Sprecher der IG Metall im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. »Oft stellte sich allerdings heraus, dass dies falsch war. Es geht ausdrücklich um eine Vergleichbarkeit über den gesamten Betrieb hinweg. Wenn die Vergleichspersonen aber nur in derselben Abteilung oder in demselben Bereich gesucht werden, untergräbt das die gesetzlichen Rechte der Beschäftigten.«
Sowohl die Forscherinnen und Forscher des WSI als auch die Gewerkschaften verlangen daher von der Bundesregierung deutliche Nachbesserungen. »Um das Gesetz wirksamer zu gestalten, müssten Unternehmen verpflichtet werden, ihre Entgeltpraxis auf Diskriminierung hin zu überprüfen und festgestellte Benachteiligungen zu beseitigen. Das Gesetz sollte auch für kleinere Betriebe gelten«, fordert die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Zudem müsse auch Verbänden und Gewerkschaften die Möglichkeit gegeben werden, rechtlich gegen Lohnungleichbehandlung vorzugehen.
Auch Baumann, Klenner und Schmidt plädieren dafür, die Prüfung der betrieblichen Gehaltsstrukturen nicht nur zu empfehlen, sondern verpflichtend zu regeln und die Beschäftigten in kleineren Betrieben in das Gesetz einzubeziehen. Des Weiteren müssten wirksame Sanktionen bei Verstößen gegen gesetzliche Verpflichtungen beschlossen werden.
Bisher gehen Unternehmen, die gegen das Entgelttransparenzgesetz verstoßen, straffrei aus.
Nicht auf den in der Vergangenheit weitgehend untätigen Gesetzgeber verlassen wollen sich Aktivistinnen aus ganz Deutschland, die für den 8. März zum bundesweiten Frauenstreik aufrufen. Neben dem Kampf gegen patriarchale Gewalt, Diskriminierung, sexuelle Unterdrückung und den stärker werdenden Antifeminismus von rechts wendet sich der Aufruf auch gegen die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen.
Erschienen in Jungle World 07/2019 vom 14.02.2019