Immer mehr Rentner sind von Altersarmut betroffen
Mit einem Kompromiss wollte die Große Koalition verhindern,
dass die Rentenpolitik zum bestimmenden Wahlkampfthema wird. Gelungen ist ihr das nicht.
»Die Rente ist sicher.« Diesem berühmt gewordenen Ausspruch des damaligen Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, Norbert Blüm (CDU), schenkten schon in den achtziger und neunziger Jahren nur wenige Menschen Glauben. Die schließlich 1997 beschlossene Absenkung des Rentenniveaus von 70 auf 64 Prozent des letzten Bruttolohns sollte, so hieß es damals, die Kosten für die gesetzliche Altersversorgung in Zukunft langsamer ansteigen lassen und die Beiträge zur Rentenversicherung stabilisieren. Der befürchtete Kollaps der Rentenversicherung mit ständig steigenden Beiträgen in die Rentenkasse ist zwar nicht eingetreten, allerdings wird das Rentenniveau seit Jahren immer niedriger. Lag es im Jahr 2000 noch bei 52,9 Prozent des letzten Bruttolohns, betrug es 2015 47,7 Prozent. Bis 2045 wird es Prognosen zufolge auf 41,6 Prozent abgesenkt.
Für immer mehr Menschen reicht die gesetzliche Altersversorgung nicht zum Leben. Die Durchschnittsrente für Männer im Westen liegt derzeit bei 1 061 Euro, für Frauen hingegen, inklusive Hinterbliebenenrente, bei 770 Euro im Monat. Dies allerdings nur bei mindestens 45 Beitragsjahren, die jedoch immer weniger Beschäftigte erreichen. Viele beziehen eine deutlich geringere Rente. Daher wird der Anteil der über 65jährigen, die im Alter unter Armut leiden, immer größer. Waren dem Statistischen Bundesamt zufolge vor zehn Jahren 10,3 Prozent der Rentner von Altersarmut betroffen, sind es mittlerweile bereits 15,6 Prozent. Kein Wunder also, dass fast zwei Drittel der Beschäftigten Umfragen zufolge davon ausgehen, dass ihre Rente nur für das Nötigste reichen wird.
Immer deutlicher wurde daher in den vergangenen Monaten, dass die Zukunft der Rente zum wichtigsten Thema des Bundestagswahlkampfes werden könnte. So kündigte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zur Bundestagswahl eine Rentenkampagne an mit der Forderung, »das Rentenniveau langfristig deutlich zu erhöhen«. Auch Sozialverbände und Wohlfahrtsorganisationen wollen die Altersvorsorge in den Mittelpunkt rücken.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) möchte hingegen einen »Rentenwahlkampf« unter allen Umständen verhindern und lud deshalb vergangene Woche die Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD zum »Rentengipfel« ins Kanzleramt. Der dort gefundene Kompromiss zur Angleichung der Renten in Ost und West, der Besserstellung bei Erwerbsminderungsrenten und der Stärkung der Betriebs- und Riesterrenten stieß in der Regierung auf breite Zustimmung. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Finanzministerium, Jens Spahn (CDU), lobte im Deutschlandfunk die Ergebnisse des Rentengesprächs und sprach von einer »guten Nachricht«. Für den SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann ist die vereinbarte Angleichung der Ostrenten »fair« und »gut tragbar«. Selbst in der CSU fand man lobende Worte für den ausgehandelten Kompromiss. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer wertete die Einigung als »gutes Signal«, die Sicherheit »auch für die Zukunft« gebe.
Auf Arbeitgeberseite zeigte man sich ebenfalls zufrieden. So begrüßte Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, die getroffenen Beschlüsse und fand es »bemerkenswert, wie die Große Koalition dem Populismus trotzt und versucht, Ruhe in das komplizierte Thema Rente zu bringen«. Auch die Gewerkschaften präsentierten sich überraschend einig. In einer gemeinsamen Pressemitteilung bewerteten die beiden größten Einzelgewerkschaften IG Metall und Verdi, die in den vergangenen Jahren häufig miteinander im Streit lagen (Jungle World 12/2016), den Beschluss positiv. Die »beschlossenen Verbesserungen zur Erwerbsminderungsrente und zur Angleichung der Renten Ost-West sind Schritte in die richtige Richtung«, hieß es in der gemeinsamen Stellungnahme.
Selbst aus der Opposition ist wenig Kritik zu hören. So begrüßen auch die Grünen die geplante Angleichung der Ost- und Westrenten. »Im Grundsatz ist es richtig, über 25 Jahre nach der Wiedervereinigung eine Angleichung anzustreben«, sagte die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Kerstin Andreae im SWR. Allerdings müsse geprüft werden, wie die Verwirklichung dieser Angleichung stattfinde.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Ergebnisse des Rentenkompromisses nur wenig positive Auswirkungen für derzeitige wie auch für künftige Ruheständler haben werden. So soll die Angleichung der Renten in Ost- und Westdeutschland nicht, wie ursprünglich im Koalitionsvertrag vereinbart, bis 2020 abgeschlossen sein, sondern schrittweise erst bis 2025 erfolgen. Bezahlt werden soll die Angleichung von den derzeitigen ostdeutschen Beschäftigten, deren spätere Alterseinkünfte dadurch weiter sinken. So werden zwar ab 2025 die Rentenpunkte im Osten und Westen den gleichen Wert besitzen, allerdings entfällt im Gegenzug der Umrechnungsfaktor von 1,148, mit dem bisher die Rentenanwartschaftszeiten im Osten multipliziert wurden, um so die niedrigeren Löhne in den neuen Bundesländern auszugleichen. Da die Löhne dort 26 Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung im Durchschnitt 24 Prozent unter dem Westniveau liegen, bedeutet die Angleichung für zahlreiche künftige Rentner im Osten erhebliche Einbußen. Die geplante Stärkung der Betriebs- und Riesterrente nützt vor allem Finanzinstituten und Versicherungskonzernen und weniger den Beschäftigten, besonders, weil die Arbeitgeber künftig von der Haftung für bestimmte Rentenleistungen entbunden werden sollen.
Die Hoffnung der Bundeskanzlerin, der Rentengipfel würde dafür sorgen, dass sich die Altersvorsorge nicht zum großen Wahlkampfthema entwickelt, wird sich trotz der scheinbaren Einigkeit in allen politischen Kreisen nicht erfüllen. Die wichtigsten Fragen blieben beim Kompromiss der Regierungskoalition nämlich außen vor. So konnten sich Union und SPD weder auf eine Stabilisierung des Rentenniveaus noch auf eine Festlegung des Beitragssatzes für die Zukunft einigen.
Bundesarbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) nutzte die Vorstellung des Kompromisses gleich zum Wahlkampfauftakt und stellte ihr eigens Rentenkonzept vor, das vermutlich die Basis der Sozialdemokraten für den anstehenden »Rentenwahlkampf« bilden wird. Dabei spricht sie wenig bescheiden vom »umfassendsten Konzept gegen Altersarmut«, das »jemals vorgelegt« worden sei. Im Mittelpunkt von Nahles‘ Plänen steht eine »doppelte Haltelinie« in der Rentenentwicklung. So soll ein Rentenniveau von mindestens 46 Prozent gesetzlich festgeschrieben werden, die Rentenbeiträge sollen bis 2030 auf maximal 22 Prozent des Bruttoeinkommens und bis 2045 auf 25 Prozent begrenzt werden. Außerdem schlägt Nahles eine »Solidarrente« vor, die zehn Prozent über der ortsüblichen Grundsicherung liegt. Sie soll für alle gelten, die 35 Beitragsjahre nachweisen können, deren Altersrente aber unterhalb der Grundsicherung liegt. Dabei sollen bis zu zehn Jahre Kindererziehungs- oder Pflegezeit angerechnet werden, ebenso bis zu fünf Jahre Arbeitslosigkeit. Alle zusätzlichen Kosten der Rentenkassen sollen aus Steuern finanziert werden.
Während die SPD also über ein fertiges Konzept verfügt, ist bei der CDU nur klar, was sie nicht will: die Verwirklichung des Rentenkonzepts von Andrea Nahles. Lediglich die CSU hat bereits ihre Forderung gefunden. Bayerns Sozialministerin Emilia Müller und die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeld, sagten, dass die Forderung nach einer Aufstockung der Mütterrente Teil des CSU-Wahlprogramms werden soll.
Im Getöse vor der Bundestagswahl geht freilich der Hauptgrund für das Sinken des Rentenniveaus und die wachsende Altersarmut vollkommen unter. Das Problem ist nicht, dass den Leistungsempfängern immer weniger Einzahler gegenüberstünden, sondern dass die Gesamtsumme der Rentenbeiträge durch die Vergrößerung des Niedriglohnsektors und die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse immer geringer wird. Die Altersarmut durch steigende Löhne zu bekämpfen, spielt jedoch weder in den rentenpolitischen Konzepten der Regierungsparteien, noch in denen der Opposition oder der Gewerkschaften eine Rolle.
Erschienen in: Jungle World 50/2016, vom 15.12.2016