Das Land Hessen führt per Tarifvertrag ein Burkaverbot für den öffentlichen Dienst ein
Bei der vergangene Woche erzielten Tarifeinigung für die Landesbeschäftigten in Hessen fand ein überraschender Punkt Eingang in den Tarifvertrag: das Verbot der Vollverschleierung.
Rund 16 Stunden verhandelten Vertreter der Gewerkschaften und des Landes Hessen, ehe sie sich vergangene Woche auf einen neuen Tarifvertrag für die etwa 45 000 Beschäftigten einigten. Vor allem die unteren Lohngruppen können sich über eine spürbare Gehaltserhöhung freuen, da neben der eher geringen Anhebung der Gehälter um zwei Prozent ab dem 1. März und 2,2 Prozent ab dem 1. Februar nächsten Jahres eine Mindesterhöhung um 75 Euro vereinbart wurde. Zudem konnte für die Beschäftigten ein hessenweites Jobticket für den öffentlichen Personennahverkehr sowie für Auszubildende eine Erhöhung der Vergütung um 35 Euro im ersten und noch einmal im zweiten Jahr plus ein zusätzlicher Urlaubstag durchgesetzt werden.
Angesichts des niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrads der Landesbeschäftigten ist das für Wolfgang Pieper, den Verhandlungsführer der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, ein »großer Erfolg« – vor allem, da die Ausgangsbedingungen alles andere als einfach waren. Das Land Hessen hatte 2004 die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL), mit der die Gewerkschaften bereits Mitte Februar einen Tarifabschluss vereinbart haben, verlassen, um so die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern zu verschlechtern. Dass nun ein Abschluss erzielt werden konnte, der dem mit der TdL gleicht, ist der Zustimmung der Gewerkschaften zu einem von Innenminister Peter Beuth (CDU) geforderten ungewöhnlichen Passus geschuldet: dem Verbot der Vollverschleierung während der Dienstzeit. Ein Tarifvertrag regelt die Löhne der Beschäftigten und meist auch die Arbeitsbedingungen, die Zahl der Urlaubstage, die Arbeitszeit und Ähnliches. In manchen tariflichen Vereinbarungen findet sich auch Kurioses. Etwa der berühmte »Haustrunk« für die Beschäftigten in der Brauindustrie, bei dem haarklein festgeschrieben ist, auf wie viele Liter Bier der Arbeitnehmer in welchen Lebenssituationen, zum Beispiel bei längeren Erkrankungen oder im Erziehungsurlaub, Anspruch hat. Oder der »Hausbrand« für die wenigen noch verbliebenen Kumpel im Kohlebergbau – immerhin 16 Seiten umfassen die komplizierten Bestimmungen zur Energiebeihilfe im Manteltarifvertrag der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie mit der Deutschen Steinkohle AG.
Das nun im Tarifvertrag der hessischen Länderbediensteten festgeschriebene Verbot der Vollverschleierung ist jedoch bisher einzigartig. Den Gewerkschaften zufolge machte Innenminister Beuth dies zur Voraussetzung für einen Abschluss. Der Wunsch nach einer Burkaklausel hatte zuvor bei den Gewerkschaften für Unverständnis gesorgt. »Wir finden, dass so ein Thema eigentlich in einem Tarifvertrag nichts zu suchen hat«, sagte Andreas Grün von der Gewerkschaft der Polizei. Auch der Vorsitzende des hessischen Beamtenbundes, Heini Schmitt, konnte das Anliegen des Innenministers nicht nachvollziehen. »Wir verhandeln um Geld und Arbeitsbedingungen«, so Schmitt kurz vor Verhandlungsbeginn gegenüber der Frankfurter Rundschau. Ein Burkaverbot gehöre »systematisch nicht rein« in Tarifverhandlungen, »jenseits von der Frage, ob wir das für sinnvoll erachten«. Noch deutlicher wurde Jochen Nagel, der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Er bezeichnete das Vorhaben als »völligen Unsinn« und betonte noch am Tag vor dem Abschluss: »Gewerkschaften werden sich auf so schmutzige Geschäfte nicht einlassen.« Dass tags darauf aus dem vermeintlichen Unsinn Wirklichkeit wurde, dürfte vor allem an der pragmatischen Haltung der größten Gewerkschaft im öffentlichen Dienst liegen. »Die Frage ist: Was bekommen wir?«, so der Verdi-Landesvorsitzende Jürgen Bothner. Er führte aus: Wenn »sie es im Tarifvertrag haben wollen – und Tarifverträge sind Kompromisse – dann gibt es Preise dafür«.
Während die Gewerkschaften sich dank eines aus ihrer Sicht guten Abschlusses mit dem Burkaverbot im Tarifvertrag arrangiert haben, stößt das Vorgehen des Innenministers bei der Opposition weiter auf Unmut. »Ich halte das für eine absolute Schnapsidee«, kommentierte der FDP-Innenpolitiker Wolfgang Greilich die Regelung. »Wenn das überhaupt regelungsbedürftig ist, dann sicher nicht in einem Tarifvertrag.« Die Linkspartei im hessischen Landtag nannte Beuths Verhalten absurd. Man stelle sich vor, die Gewerkschaften würden hessische Tarifverhandlungen mit der Forderung nach Schließung des defizitären Flughafens Kassel-Calden oder nach einem bundesweiten Abschiebestopp eröffnen – und andernfalls mit unbefristetem Streik drohen, so der parlamentarische Geschäftsführer der hessischen Linkspartei, Hermann Schaus. »Ein solcher Umgang mit den berechtigten Interessen der Beschäftigten ist unwürdig.« Für die Generalsekretärin der hessischen SPD, Nancy Faeser, geht es um reine Symbolpolitik: »Man regelt da ein Problem, das es gar nicht gibt.« Sie sieht in Beuths Vorgehen einen Vorgeschmack auf den anstehenden Bundestagswahlkampf. »Die CDU kehrt offensichtlich zu alten Themen zurück«, so Faeser. Sie spielt damit auf die rassistische Kampagne des damaligen CDU-Spitzenkandidaten Roland Koch gegen die doppelte Staatsbürgerschaft im Landtagswahlkampf 1999 an.
Tatsächlich ist fraglich, ob es überhaupt Beschäftigte gibt, die vom Verbot der Vollverschleierung betroffen wären. Bisher ist weder in Hessen noch in anderen Bundesländern ein Fall bekannt, bei dem Landesbedienstete ihrer Tätigkeit in Burka oder Niqab nachgehen. Niedrige oder nicht vorhandene Fallzahlen sind aber ein schlechtes Argument gegen Regelungen, die auf prinzipielle Fragen abzielen. Es spricht vieles dafür, das Tragen der Burka, eines Symbols der islamistischen Ideologie und des religiös verbrämten Tugendterrors, ebenso wie andere Formen der Vollverschleierung in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes zu untersagen.
Eine solche gesellschaftspolitisch relevante Frage kann jedoch nicht nebenbei in einem Tarifvertrag gelöst werden. Ein Verschleierungsverbot nicht in Form einer Gesetzesvorlage im dafür zuständigen Landtag zu diskutieren, sondern ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl auf dem Umweg über einen Tarifvertrag durchzusetzen, hat vor allem taktische Gründe. Zum einen passt es in die offenkundige Strategie der Unionsparteien, Wähler von der AfD zurückzugewinnen. Mit Hilfe einer Regelung im Tarifvertrag kann Beuth sich als Macher präsentieren, der ohne langwierige Gesetzgebungsdebatten Ergebnisse erzielt, und sich als derjenige feiern lassen, der als Erster, noch vor der CSU in Bayern, ein Burkaverbot durchsetzt. Zum anderen spart sich die hessische CDU so die Auseinandersetzung mit ihrem Koalitionspartner, den Grünen. Denn auch deren Zustimmung zu einem Burkaverbot hätte wohl ihren Preis.
Den Gewerkschaften hingegen könnte es noch Probleme bereiten, dass sie sich für einen besseren Abschluss zum Wahlkampfhelfer der CDU machen lassen und dazu beitragen, die nötige gesellschaftspolitische Debatte über den Umgang mit Burka und Ähnlichem zu umgehen. Der Erfolg Beuths könnte auch andere dazu animieren, mittels Tarifverhandlungen kontroverse Regelungen durchzusetzen.
Erschienen in: Jungle World 11/2017, vom 16.03.2017