Pandemiehilfen für die Deutsche Bahn sind mit weiterer Deregulierung verknüpft
Die Deutsche Bahn steckt in einer schweren Krise. Die Auszahlung staatlicher Hilfsgelder ist jedoch auch von einer weiteren ökonomischen Deregulierung im Schienenverkehr abhängig.
Wenn selbst das Manager-Magazin Boni für Konzernvorstände kritisiert, sollte man hellhörig werden. Gleichlautend mit anderen Medien der Spiegel-Gruppe berichtete die Zeitschrift in der vergangenen Woche über die finanzielle Misere der Deutschen Bahn. In der Covid-19-Pandemie sind die Fahrgastzahlen erheblich gesunken. Die Verluste der Bahn wurden für das vergangene Jahr auf etwa 5,6 Milliarden Euro veranschlagt. Wegen der anhaltenden Einschränkungen dürfte auch das laufende Jahr kaum profitabel werden.
Ein klarer Fall eigentlich für die »Bazooka« des Bundesfinanzministers Olaf Scholz (SPD), also für umfassende Wirtschaftshilfen, zumal die Deutsche Bahn zwar als Aktiengesellschaft organisiert ist, sich aber vollständig im Besitz des Bundes befindet. Tatsächlich hat die Bundesregierung bereits Mitte vergangenen Jahres beschlossen, das Eigenkapital des Unternehmens um fünf Milliarden Euro zu erhöhen, um die hohen Verluste in der Bilanz zu kompensieren. Allerdings wurde das Geld bislang nicht freigegeben, denn die EU-Wettbewerbskommission muss die Staatshilfen für den Konzern erst genehmigen. Doch die Kommission knüpft ihre Zustimmung an Bedingungen, die zu erfüllen der Bahnvorstand sich bislang weigert.
Den Berichten der Spiegel-Gruppe zufolge liegt das Problem vor allem am mangelnden Willen zum Verzicht beim Führungspersonal der Deutschen Bahn. Eine der Vorgaben der EU ist es, Dividenden und Bonuszahlungen für Vorstände nicht mit den Staatshilfen zu finanzieren. Diese Forderungen weist der Bahnvorstand zurück und gefährdet so Kritikern zufolge die Stabilität des Unternehmens.
Doch der Sachverhalt ist komplizierter. Der Streit zwischen der EU-Kommission auf der einen und der Deutschen Bahn auf der anderen Seite schwelt bereits länger. Die EU fordert seit Jahren die Deregulierung des deutschen Schienenverkehrs, bessere Wettbewerbsbedingungen für die privaten Konkurrenten der Bahn, die weitgehende Privatisierung des Streckennetzes und weitere Maßnahmen, die einer Zerschlagung des Konzerns mit seinen fast 600 Teilunternehmen nahekommen.
Die Forderungen, die die EU-Kommission derzeit stellt, zielen in diese Richtung. Beispielsweise soll die Bahn ihre Buchungsplattform für private Anbieter öffnen, auch ein Zwangsverkauf von Zügen an die Konkurrenz steht zur Diskussion. Der Grund für die umfassenden Auflagen ist eine Beschwerde gegen die Eigenkapitalerhöhung des Bundes, die Flixmobility bei der EU eingelegt hat. Dabei handelt es sich um den Mutterkonzern des Fernbusmonopolisten Flixbus, der mit seinem Tochterunternehmen Flixtrain der Bahn inzwischen auch auf der Schiene Konkurrenz macht. Wie bei anderen Billigkonkurrenten der Bahn basiert auch das Geschäftsmodell von Flixmobility darauf, die Preise der Deutschen Bahn mit Niedriglöhnen, Werkverträgen und dem Einsatz von Subunternehmen zu unterbieten. Wie bereits bei der Privatisierung von Post und Telekom dürfte die Etablierung privater Konkurrenz im Schienenverkehr also vor allem zu Lasten der dort Beschäftigten gehen.
Entsprechend fordert die EVG, mit fast 200 000 Mitgliedern größte deutsche Eisenbahngewerkschaft, die EU dazu auf, die Auszahlung der von der Bundesregierung bereitgestellten Hilfsgelder umgehend zu bewilligen und nicht an Auflagen zu knüpfen, die zu »einer weiteren Schädigung der Deutschen Bahn AG führen«. Der EVG-Vorsitzende Klaus-Dieter Hommel äußert sich darüber hinaus betont zurückhaltend: »Für den Fall, dass es durch die Auflagen auch zu Begrenzungen der Bezahlung von Vorständen des Konzerns kommen sollte, müssen die persönlichen Interessen zurückgestellt werden.«
Anders verhält sich die zweite Interessenvertretung der Beschäftigten im Bahnkonzern, die mit etwa 34 000 Mitgliedern wesentlich kleinere Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Während die DGB-Gewerkschaft EVG sämtliche Beschäftigtengruppen im Bahnverkehr vertritt, konzentriert sich die dem konservativen Beamtenbund zugehörige GDL als Standesorganisation auf die Organisation der durchsetzungsstarken Lokführer. Sie befürwortet zudem eine Liberalisierung des Schienenverkehrs. In der Diskussion über die Auflagen der EU werfen die GDL und ihr Vorsitzender Claus Weselsky dem Bahnvorstand vor, diesem seien«die eigenen Boni offensichtlich wichtiger als das Wohl und Wehe des Eisenbahnsystems«.
Wie das Manager-Magazin verwendet auch das CDU-Mitglied Weselsky bei seinem Plädoyer für eine Liberalisierung des Schienenverkehrs den Topos der generellen Misswirtschaft in staatlichen Unternehmen: »Kein wirklicher Eigentümer würde die Geldverschwendung in seinem Unternehmen fördern, eigentlich unvorstellbar. Mit dem Geld der Steuerzahler tut man sich dabei sichtlich leicht.« Er greift jedoch weniger die Bahnführung als vielmehr die Konkurrenz von der EVG an, die er wegen deren »Zustimmung oder Duldung« für die »Selbstbedienungsmentalität des DB-Vorstands« mitverantwortlich macht.
Der Streit um die Zukunft des deutschen Schienenverkehrs ist auch einer zwischen den beiden Gewerkschaften. Dabei sah es für die GDL in den vergangenen Jahren nicht sonderlich gut aus. So gelangen der EVG erfolgreiche Tarifabschlüsse, insbesondere der Einstieg in die Arbeitszeitverkürzung durch ein Wahlmodell, während der GDL letztlich nichts anderes übrig blieb, als die von der EVG ausgehandelten Tarifverträge auch für ihre Mitglieder zu übernehmen. Die Versuche der GDL, über das in den Zügen beschäftigte Personal hinaus auch bei anderen Beschäftigtengruppen der Bahn AG Fuß zu fassen, scheiterten ebenso wie das Vorhaben, sich in anderen Bereichen öffentlicher Personenbeförderung, beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr, zu etablieren. Immer mehr Mitglieder der GDL plädieren für ein Ende der harten Abgrenzung zur EVG und mehr Zusammenarbeit zwischen den Bahngewerkschaften, um die Interessen der Beschäftigten durchzusetzen.
Durchsetzungsfähige Gewerkschaften werden die Bahnbeschäftigten in der nächsten Zeit brauchen. Denn unabhängig davon, wie das Ringen zwischen dem Bahnvorstand und der EU-Wettbewerbskommission ausgeht, sollen die Beschäftigten für die ökonomische Krise bezahlen. Die sogenannte Liberalisierung des Schienenverkehrs würde vor allem auf ihre Kosten erfolgen. Und rückt die EU wider Erwarten von ihren Forderungen ab, werden die zur Verfügung stehenden staatlichen Hilfsgelder wohl kaum in die Beschäftigungssicherung fließen.
Erschienen in Jungle World 05/2021