Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie treffen vor allem junge Menschen, die Jugendarbeitslosigkeit wächst in ganz Europa
Noch gehören junge Menschen zu den eifrigsten Befürwortern der EU. In den meisten Ländern sind vor allem sie es, die sich der Agitation EU-skeptischer Parteien entgegenstellen.
Bereits geschlossene Ausbildungsverträge behalten zwar ihre Gültigkeit, können jedoch in der Probezeit ohne Angabe von Gründen gekündigt werden. Junge Arbeitnehmer sind zudem häufig in befristeten Arbeitsverhältnissen wie Zeit- und Leiharbeit oder in sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen wie Minijobs oder Midijobs tätig. Entlassungen treffen die Jungen aufgrund des fehlenden Kündigungsschutzes meist als erste. In Krisenzeiten behalten Unternehmen zudem lieber das Stammpersonal und kündigen den Beschäftigten, die noch nicht so lange im Betrieb sind. Auch die Zahl der Neueinstellungen, von denen zumeist jüngere Arbeitnehmer profitieren, wird in den kommenden Monaten voraussichtlich deutlich zurückgehen.
Die vergangenen Jahrzehnte zeigen, dass ökonomische Krisen auf die Jugend besonders schwere Auswirkungen haben. Schon bei der globalen Finanzkrise von 2008/2009 war in Europa angesichts stark gestiegener Jugendarbeitslosigkeit von einer »verlorenen Generation« die Rede. Auf der Basis von OECD-Daten zeigt sich im Zeitraum 1970 bis 2009, dass ein Anstieg der Arbeitslosigkeit von einem Prozent bei Personen im Haupterwerbsalter mit einem Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit von 1,8 Prozent einhergeht. Gewerkschaften und Sozialverbände befürchten, dass die Auswirkungen der derzeitigen weltweiten Krise noch weitaus gravierender ausfallen werden als vor zehn Jahren. So warnt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) vor dem Entstehen einer »Lockdown-Generation« und »verheerenden und unverhältnismäßigen« Auswirkungen der Krise auf die Beschäftigung junger Arbeitnehmer.
Wie in der Krise 2008/2009 ist jedoch nicht nur mit einem Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit zu rechnen. Verheerend sind vor allem die langfristigen Folgen für junge Beschäftigte, wie auch die noch immer anhaltenden Nachwirkungen der Finanzkrise zeigen. In Deutschland wie in Europa stieg die Zahl der befristeten Jobs und sonstigen prekären Arbeitsverhältnisse in den vergangenen zehn Jahren rasant an. In der EU arbeiten inzwischen 44 Prozent der Erwerbstätigen unter 25 Jahren in befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Bei den Erwerbstätigen über 25 Jahren liegt der Anteil bei 11,5 Prozent. In zahlreichen Ländern wurden in den vergangenen Jahren gesetzliche Vorschriften gelockert, die die Befristung begrenzen. Zudem wuchs die Zahl der – häufig unfreiwillig – Teilzeitbeschäftigten unter jungen Arbeitnehmern. In Deutschland, Italien und Frankreich hat unter den Jugendlichen in den vergangenen Jahren sogar ausschließlich die Zahl der Teilzeitbeschäftigten zugenommen, während die der Vollzeitbeschäftigten zurückging oder – wie im Falle Frankreichs – stagnierte.
Zwar ist auch in Deutschland mit einem weiteren Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit zu rechnen. Die Auswirkungen der Krise auf junge Beschäftigte in anderen europäischer Länder fallen jedoch noch weitaus schlimmer aus. So stieg die Jugendarbeitslosigkeitsquote in der EU bereits im Mai auf 14,4 Prozent. Angesichts des prognostizierten Rückgangs der EU-Wirtschaftsleistung um 8,3 Prozent in diesem Jahr rechnet die Europäische Kommission mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote unter jungen Menschen auf 25 Prozent. Betroffen sind schon jetzt vor allem die Staaten, die noch immer mit den Auswirkungen der letzten Krise zu kämpfen haben. So stieg die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien auf 32,9 Prozent, in Griechenland auf 32,4 Prozent, in Italien auf 28 Prozent und in Frankreich auf 21,2 Prozent. Doch auch in Ländern wie Österreich sind so viele jugendliche Arbeitslose registriert wie noch nie zuvor (11,8 Prozent).
Gerade Ländern mit hoher Staatsverschuldung, die sich bereits im Zuge der Finanzkrise überall weiter erhöht hatte, fehlen zudem die öffentlichen Gelder für wirksame Gegenmaßnahmen. Die Mittel für die in der Vergangenheit von Gewerkschaften und Jugendverbänden mühsam erkämpften Maßnahmen der EU gegen Jugendarbeitslosigkeit in der EU sollen zwar nach dem Willen der EU-Kommission aufgestockt werden, sie blieben aber in den vergangenen Jahren weitgehend wirkungslos. So sollte eigentlich die 2013 vom EU-Ministerrat erlassene »Jugendgarantie« die Chancen junger Menschen am Arbeitsmarkt verbessern. Die Richtlinie verpflichtet alle Mitgliedstaaten, den erfolgreichen Übergang junger Menschen in das Berufsleben zu gewährleisten. Alle unter 25jährigen müssen demnach innerhalb von vier Monaten nach Abschluss ihrer Ausbildung oder nachdem sie arbeitslos geworden sind ein konkretes und qualitativ hochwertiges Arbeitsangebot erhalten. Dabei kann es sich um einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, ein Praktikum oder eine Fortbildung handeln.
Tatsächlich ist die »Jugendgarantie« gescheitert. Bessere, gar hochwertige Arbeitsplätze, wie es in der Zielsetzung der EU heißt, sind dadurch nicht entstanden. Eher kam es zu einer Ausweitung der prekären Beschäftigungsverhältnisse für junge Menschen. Bei der nationalen Umsetzung wurden Gewerkschaften und Jugendorganisationen in vielen Ländern nicht eingebunden, die Zielgruppe damit kaum erreicht. Vielfach nutzen Unternehmen die EU-Gelder, um bislang reguläre Arbeitsplätze durch prekäre Kurzzeitbeschäftigungen zu ersetzen. Zugleich wurden junge Beschäftigte zum Gang in die (Schein-)Selbstständigkeit genötigt.
Die Europäische Gewerkschaftsjugend beklagt einen »dramatischen Vertrauensverlust junger Menschen in die EU«. »Weiterhin Perspektivlosigkeit, weiterhin keine guten Arbeitsplätze, die eine bessere Zukunft und ein gutes Leben ermöglichen würden«, kritisiert Joscha Wagner, Vizepräsident der Europäischen Gewerkschaftsjugend, und fordert die Einbindung der Betroffenen in die Planungen der EU zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.
Welche gesellschaftlichen Auswirkungen der erneute Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit, das zu erwartende erneute Scheitern der EU in dieser Frage und das Entstehen einer weiteren »verlorenen Generation« haben werden, ist ungewiss. Medien und Politik warnen insbesondere vor weiterem Zulauf für rechtspopulistische, EU-feindliche Bewegungen und der Hinwendung der Jugend zu nationalistischen Ideen.
Noch gehören junge Menschen jedoch zu den eifrigsten Befürwortern der EU und der europäischen Integration. In den meisten Ländern sind vor allem sie es, die sich der Agitation EU-skeptischer Parteien und Regierungen entgegenstellen. Mit den Vorteilen der gefallenen Grenzen in der EU sind sie aufgewachsen und wollen diese auch nicht missen. Das unkomplizierte Reisen, der regelmäßige Austausch und länderübergreifende Freundschaften, das Studieren, Leben und Arbeiten in anderen Ländern, sind für sie eine Selbstverständlichkeit geworden. Viele von ihnen sehen – den realen Machtverhältnissen zum Trotz – in der EU weit mehr als ein neoliberales Elitenprojekt zur Erleichterung des Freihandels und zum Machtausbau in der internationalen Konkurrenz. Sie verbinden die EU mit persönlicher und gesellschaftlicher Freiheit. Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass die nun erneut vom EU-Establishment Enttäuschten nicht dem nationalistischen Wahn verfallen, sondern stattdessen progressive, grenzüberschreitende Ideen zur gemeinsamen Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensverhältnisse entwickeln.