Feindliches Klima

Der Versuch, Betriebsräte loszuwerden, hat beim Playmobil-Hersteller System

Vordergründig geht es um Hitzepausen: So wurden beim Spielzeugunternehmen Geobra Brandstätter im fränkischen Dietenhofen, dem Hersteller der weltweit drei Milliarden Playmobil-Figuren, im Sommer über 37 Grad in den Werkhallen gemessen. Trotz Ermahnungen der Gewerbeaufsicht ergriff das Unternehmen in der Vergangenheit keine ausreichenden Maßnahmen, und das Öffnen der Fenster im Produktionsbereich ist unmöglich. Die Betriebsräte der IG Metall informierten daraufhin die Beschäftigten per Aushang über ihre Rechte, zu denen auch regelmäßige »Entwärmungsphasen« gehören.

Für die Geschäftsführung eine ungeheuerliche Provokation. Sie reagierte nicht nur mit einem eigenem Aushang, in dem sie den Beschäftigten bei Pausen mit »disziplinarischen Maßnahmen« drohte und darauf hinwies, sie sollten doch lieber »Selterswasser zu einem äußerst geringen Preis käuflich erwerben«. Das Unternehmen behauptet zudem, durch den Aushang sei eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den IG Metall-Betriebsräten nicht mehr möglich. Es klagt daher vor dem Arbeitsgericht Nürnberg auf einen Ausschluss der IG Metall aus dem Gremium. Eine gütliche Einigung scheiterte diesen Montag. Die Richter werden im Januar eine Entscheidung fällen.

Der Versuch, Betriebsräte loszuwerden und Arbeitnehmerrechte zu beschneiden, hat beim Playmobil-Hersteller System. Erhöhter Arbeitsdruck, Angst, Abmahnungen, Strafversetzungen und Kündigungen gehören seit Jahren zum Arbeitsalltag für die Beschäftigten bei Geobra Brandstätter.

So stehen laut IG Metall an Maschinen, die bis vor Kurzem noch fünf Arbeiter benötigten, jetzt nur noch vier. Ein elektronisches Überwachungssystem mit dem Namen »Hydra« kontrolliert jeden persönlichen Schritt und meldet jede Sekunde Pause. Wer eine produktionsbedingte Pause von mehr als 50 Sekunden hat, muss in dieser Zeit etwas montieren.

Dazu kommen unzählige Überstunden. Mehr als hundert sind laut IG Metall keine Seltenheit, und um die Kontrolle der Einhaltung der Arbeitszeitregeln durch den Betriebsrat zu erschweren, würden Beschäftigte dazu gedrängt, die Arbeitszeit auf einem Zettel unterschreiben zu lassen, statt einzustempeln. »Ein derartiges Klima der Angst habe ich noch bei keinem anderen Unternehmen erlebt«, sagt IG Metall-Betriebsbetreuerin Bianka Möller.

Dies bleibt nicht ohne Folgen: Nach Angaben der IG Metall ist in einigen Abteilungen fast jeder vierte Beschäftigte krankgeschrieben, und wer kann, verlässt das Unternehmen.

Dass es angesichts dieses feindlichen Arbeitsklimas überhaupt IG-Metall-Betriebsräte gibt, die sich für die Beschäftigten einsetzen, ist das Resultat eines jahrelangen Kampfes im Betrieb und vor Gericht. Bereits 2014 hatte das Unternehmen die Betriebsratswahl behindert. Der Wahlvorstand hatte die Kandidatenliste der IG Metall unzulässigerweise zurückgewiesen. Die Gewerkschaft focht die Gültigkeit der Betriebsratswahl vor Gericht an und erhielt über drei Instanzen recht, sodass die Wahl 2016 wiederholt werden musste.

Auch während der Neuwahlen versuchte das Unternehmen mit allen Mitteln, die Betriebsratswahlen zu beeinflussen. Dazu gehörten Flugblätter gegen die IG Metall ebenso wie der Versuch, ein Betretungsverbot für einen Gewerkschaftsvertreter zu erwirken. Juristische Unterstützung erhielt der Playmobil-Hersteller dabei von der auf Union Busting spezialisierten Kanzlei Wittig Ünalp. Trotz aller Angriffe wurde die IG Metall bei den Neuwahlen stärkste Kraft im Betriebsratsgremium. Im Frühjahr 2017 gelang es Beschäftigten und IG Metall sogar zum ersten Mal in der Geschichte des Unternehmens, einen Tarifvertrag und damit höhere Löhne und eine geringere Wochenarbeitszeit durchzusetzen.

Doch seinen Frieden hat Geobra Brandstätter mit der IG Metall noch immer nicht gemacht – und versucht, das Betriebsratsgremium zu spalten: mit persönlichen Angriffen, Abmahnwellen und täglichem Ärger. Im Streit um Hitzepausen bekommt es dabei sogar Unterstützung anderer Betriebsratsmitglieder.

Immer wieder werden die IG-Metall-Betriebsräte schikaniert. »Wir erleben hier ein klassisches Union Busting, die Jagd auf Gewerkschafter, nach Drehbuch: Wer sich für Kollegen einsetzt, wird raffiniert mit disziplinarischen Maßnahmen bombardiert«, erklärt IG-Metall-Betriebsbetreuerin Möller. So haben die Metall-Betriebsräte im Unterschied zu anderen Betriebsratskollegen keine Zugangskarten. Wenn sie durch das Werk gehen, um ihren Job zu machen oder zur Betriebsratssitzung zu gehen, müssen sie an jedem Tor und jeder Tür klingeln und warten, bis ihnen aufgemacht wird. Auch mit Abmahnungen versucht die Unternehmensleitung Betriebsräte einzuschüchtern. Die Anlässe dafür sind häufig absurd. So zum Beispiel, weil die Geschäftsführung ihre Betriebsratsbesprechungen – entgegen der Rechtsprechung – als Pausen betrachtet oder weil Nebentätigkeiten von Betriebsräten angeblich nicht angemeldet gewesen seien.

Für die IG Metall folgt das Vorgehen gegen betriebliche Interessenvertreter einem klaren Kalkül: »Ob abmahnen oder anschwärzen: Es geht dem Unternehmen dabei gar nicht darum, was auf dem Papier steht. Sondern nur um Einschüchterung, Kräfte zu binden und den Betriebsrat so von seiner eigentlichen Aufgabe abzuhalten«, meint Bianka Möller. Selbst die anderswo üblichen regelmäßigen Termine von Geschäftsleitung und Betriebsrat verweigert das Unternehmen. Ein Beispiel, wie es der Spielwarenhersteller mit verbrieften Arbeitnehmerrechten hält, schildert die IG Metall in einer Pressemitteilung. Ein Bereichsleiter hatte einen Mitarbeiter zum Personalgespräch vorgeladen, um ihm wegen eines angeblich falsch ausgefüllten Urlaubszettels mit der Kündigung zu drohen. Als der Beschäftigte ein Betriebsratsmitglied mitnahm, soll der Bereichsleiter versucht haben, dieses mit körperlicher Gewalt aus dem Büro zu drängen.

Mit dem Versuch der Unternehmensführung, die IG Metall aus dem Betrieb zu klagen, hat der seit Jahren schwelende Konflikt beim fränkischen Playmobil-Hersteller nun eine neue Eskalationsstufe erreicht. »Es ist beschämend, wenn ein Spielwarenhersteller die Beschäftigten und Betriebsräte selbst nur als Spielzeug betrachtet und die gesetzlich garantierte Mitbestimmung angreift«, kritisiert der bayerische IG-Metall-Chef Jürgen Wechsler. Klein beigeben will die IG Metall jedoch nicht: »Die Klage gegen die IG Metall im Betrieb ist ein Skandal. Und die unentwegten Angriffe und Abmahnungen sind ein unakzeptabler Fall von Union Busting. Wir werden das als IG Metall nicht hinnehmen«, so Wechsler.

Erschienen in Neues Deutschland vom 21.09.2018