Der Schutzstatus syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge
Die Bundesregierung und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind bestrebt, den Schutzstatus syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge zu verschlechtern. Immer mehr von ihnen erhalten nur noch subsidiären Schutz.
Seit der faktischen Abschaffung des individellen Grundrechts auf Asyl 1993 haben nur noch wenige Flüchtlinge die Möglichkeit, nach Maßgabe des Grundgesetzes in Deutschland einen Asylantrag zu stellen. Umso wichtiger wurden daher in den vergangenen Jahren die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention. So erhielten von den 137 000 Menschen, die 2015 als Flüchtlinge anerkannt wurden, nur 2 000 eine Anerkennung nach Artikel 16a Grundgesetz, aber 135 000 Schutz auf Basis der Genfer Flüchtlingskonvention. Diese sieht nicht nur den Schutz vor politischer Verfolgung vor, sondern auch vor der Verfolgung aufgrund von »Rasse, Nationalität, Religion oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe«.
Auch die anerkannten Flüchtlinge aus Syrien erhielten im vergangenen Jahr fast ausschließlich Schutz aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention. Von Anfang an versuchten die Bundesregierung und das für die Prüfung von Asylanträgen zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dies zu verhindern, und wollten zahlreichen syrischen Flüchtlingen nur subsidiären Schutz gewähren. Menschen mit subsidiärem Schutz können zwar nicht abgeschoben werden, wenn ihnen in ihren Heimatländern Verfolgung, Todesstrafe oder Folter drohen. Anders als Menschen mit Asyl- oder Flüchtlingsstatus bekommen sie aber zunächst nur eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr, die verlängert werden kann. Zusätzlich wurde mit dem »Asylpaket II«, das im Herbst 2015 verabschiedet wurde, auch der Familiennachzug für Menschen mit subsidiärem Schutz eingeschränkt. Ihnen ist es frühestens nach zwei Jahren möglich, ihre Familie zu sich zu holen.
Im Jahr 2013 hatten fast zwei Drittel der Syrerinnen und Syrer vom BAMF nur diesen eingeschränkten Schutz zugestanden bekommen. Erst durch die Justiz wurde diese Praxis beendet. In mehreren Oberverwaltungsgerichtsurteilen wurden die Bescheide des BAMF aufgehoben und für rechtswidrig erklärt. So stellte das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern fest: »Ein syrischer Asylbewerber ist, unabhängig von einer Vorverfolgung, wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und dem längeren Aufenthalt in Deutschland im Falle einer Rückkehr bedroht. Sein Verhalten wird vom syrischen Staat derzeit als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst, und er hat bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an seine tatsächliche oder jedenfalls vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen.«
Die Behörde passte daraufhin ihre Entscheidungspraxis an. Sie beschied in der Folge fast allen syrischen Flüchtlingen einen Status nach der Genfer Flüchtlingskonvention. 2014 waren dies bereits mehr als 70 Prozent, 2015 schließlich mehr als 95 Prozent der Syrien-Flüchtlinge. Außerdem wurde über ihre Anträge in einem beschleunigten Verfahren ohne mündliche Anhörung durch das BAMF entschieden.
Auf Anordnung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wurde dieses Vorgehen im November 2015 erneut geändert. Obwohl das Flüchtlingshilfswerk UNHCR zur selben Zeit einen Bericht vorlegte, in dem ausführlich dargelegt wurde, dass den syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen ein Schutzrecht im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zusteht, ordnete de Maizière an, wieder jeden syrischen Asylantrag individuell mit Anhörung zu prüfen und verstärkt nur subsidiären Schutz auszusprechen.
Die politisch verordnete neue Verfahrenspraxis zeigt nun erste Auswirkungen. Nach Angaben von Pro Asyl stieg die Zahl von subsidiären Schutzentscheidungen bei Syrerinnen und Syrern seit Jahresbeginn erheblich an. Erhielten im vergangenen Jahr nur 0,1 Prozent den abgeschwächten Schutzstatus, waren es in diesem Jahr bereits 16 Prozent.
Begründet wird die geänderte Verfahrensweise vom BAMF unter anderem mit dem teilweisen Rückzug des »Islamischen Staates« aus syrischen Gebieten und der veränderten Passpolitik des Assad-Regimes. In einer rechtspolitischen Stellungnahme widerlegt Pro Asyl die Argumente der Behörde. So hat Syrien zwar im vergangenen Jahr tatsächlich 800 000 Pässe ausgegeben und so die Ausreise von Flüchtlingen erleichtert, dies bedeute jedoch nicht, dass daraus eine weniger repressive Behandlung von Rückkehrern folgt. Bereits in der Vergangenheit und auch schon vor Ausbruch der Rebellion gegen Assad stellte das Regime Pässe an Syrerinnen und Syrer aus, von denen nicht wenige bei ihrer Rückkehr inhaftiert und gefoltert wurden. In diesem Zusammenhang verweist die Menschenrechtsorganisation auch auf die verstärkte Durchleuchtung der Exilopposition in Deutschland und Europa durch den syrischen Geheimdienstes. Ebenso wenig überzeugt Pro Asyl die Behauptung, dass sich durch den teilweisen Rückzug des »Islamischen Staates« die Sicherheitslage entspannt hätte. Gerade die Vielzahl der verschiedenen in Syrien operierenden Akteure von der Freien Syrischen Armee über den »Islamischen Staat« und das Assad-Regime bis hin zu verschiedenen Rebellengruppen mache es unmöglich, eine verlässliche Einschätzung der Gefährdungssituation in der Region zu geben.
Pro Asyl hält die Begründung des BAMF daher für vorgeschoben, um den Anordnungen des Innenministers zu entsprechen. Die Organisation kritisiert: »Die neue Entscheidungspraxis des BAMF ist politisch motiviert und entbehrt jeder realen und rechtlichen Grundlage. Über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes sollen die Zahlen des Familiennachzugs gedrückt werden. Hierfür verantwortlich ist insbesondere das Bundesinnenministerium aufgrund seiner Anweisung an das BAMF.«
Daneben sieht Pro Asyl auch die SPD in der Verantwortung: »Sie hat dem Asylpaket II unter der Bedingung zugestimmt, dass syrische Flüchtlinge nicht von der Aussetzung des Familiennachzugs betroffen sind.« Doch kaum sei der Beschluss gefasst gewesen, seien die Zahlen von Fällen lediglich subsidiären Schutzes angestiegen. Pro Asyl rät syrischen Flüchtlingen nun wieder, sich gründlicher auf ihre Anhörungen vorzubereiten und gerichtlich gegen die Bescheide des BAMF vorzugehen.
Erschienen in: Jungle World 23/2016, vom 09.06.2016