Integration auf Militärisch

Die Bundeswehr sucht Nachwuchs

Seit der Aussetzung der Wehrpflicht mangelt es der Bundeswehr an Nachwuchs. Nun will man sich die Jugendarbeitslosigkeit in Europa zu Nutze machen und die Armee auch für EU-Ausländer öffnen.

Für Volk und Vaterland zu töten oder zu sterben, ist nicht jedermanns Sache. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht und damit dem Ende des kontinuierlichen Zugangs neuer Rekruten – von denen immer einige als Zeit- oder Berufssoldaten dem »Bund« erhalten blieben – tut sich die Bundeswehr bei der Nachwuchswerbung schwer. Sie muss nun auf dem freien Markt mit anderen um die besten Nachwuchskräfte konkurrieren und zieht dabei häufig den Kürzeren.
Auch Werbekampagnen, Imagefilme und Rekrutierungsveranstaltungen in Arbeitsagenturen, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen sorgten bisher nicht für eine signifikante Steigerung der Zahl der Bewerber und Bewerberinnen.
Das geplante neue Weißbuch zur Sicherheitspolitik der Bundesregierung befasst sich deshalb auch ausführlich mit Fragen der Personalentwicklung. So will die Bundesregierung unter anderem künftig auch EU-Bürger ohne deutschen Pass rekrutieren. »Nicht zuletzt böte die Öffnung der Bundeswehr für Bürgerinnen und Bürger der EU nicht nur ein weitreichendes Integrations- und Regenerationspotential für die personelle Robustheit der Bundeswehr, sondern wäre auch ein starkes Signal für eine europäische Perspektive«, heißt es dazu im Kapitel zur künftigen Personalstrategie der Streitkräfte. Diese Strategie müsse sich »frühzeitig auf neue und geeignete Zielgruppen« ausrichten. Nach dem »Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten« können derzeit nur deutsche Staatsbürger von der Bundeswehr verpflichtet werden. Allein bei begründeten Einzelfällen sieht das Gesetz Ausnahmen vor.
Dass die Bundesregierung ausgerechnet jetzt »neue und geeignete Zielgruppen« in Betracht zieht, ist kein Zufall. Mit etwa 167 000 Berufs- und Zeitsoldaten verfehlt die Bundeswehr derzeit ihre Zielstärke von 170 000. Zieht man die etwa 25 000 in Studium oder Ausbildung befindlichen Soldaten ab sowie die etwa 10 000, die sich gerade auf ihre Zeit nach der Bundeswehr vorbereiten, bleiben noch 132 000 einsatzbereite Soldaten übrig. Zu wenig für die deutschen Macht­ambitionen, die in dem im Weißbuch formulierten Ziel, man wolle »die globale Ordnung aktiv mitgestalten«, zum Ausdruck kommen. Zunächst 700 neue Soldatenstellen und 4 400 für zivile Beschäftigte sollen deshalb ab kommendem Jahr geschaffen werden.
Das geplante neue Weißbuch zur Sicherheitspolitik soll noch vor der Sommerpause im Kabinett verabschiedet werden und den schon im vergangenen Weißbuch von 2006 eingeschlagenen Weg der Ausweitung von militärischen Einsätzen im In- und Ausland fortsetzen. »Auch in Zukunft wird es immer wieder Situationen geben, in denen erst ein robustes, völkerrechtlich legitimiertes militärisches Eingreifen der Diplomatie den Weg zu akzeptablen politischen Lösungen freimacht«, heißt es dazu in einem Entwurf des Verteidigungsministeriums.
Das gesamte Weißbuch atmet den Geist von Bundespräsident Joachim Gaucks Forderung nach mehr deutscher »Verantwortung« in der Welt – sowohl diplomatisch und entwicklungspolitisch als auch militärisch. Das Ministerium Ursula von der Leyens (CDU) will zudem die Möglichkeit zum Einsatz der Bundeswehr im Inland ausweiten. Das Militär soll auch bei »Terrorgefahr oder anderen nationalen Risiken« im Inland eingesetzt werden können, heißt auf der Website des Ministeriums. »Die Bundeswehr verfügt über personelle und materielle Fähigkeiten, die wir für die innere Sicherheit unseres Landes nicht ungenutzt lassen sollten«, so der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Henning Otte.
Des Weiteren sollen neue Formen der kriegerischen Auseinandersetzung wie Cyber-Attacken und hybride Kriege sowohl mit einem erhöhten Verteidigungshaushalt als auch mit einer größeren Personalstärke einhergehen. Genau um diese zu erreichen, sollen nun auch EU-Bürger ohne deutschen Pass die Möglichkeit haben, für deutsche Interessen zu kämpfen.
Ganz neu ist der Vorschlag indes nicht. Bereits im Zuge der Bundeswehrreform unter dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gab es Überlegungen, die geltende Gesetzgebung so zu ändern, »dass Inländer bei entsprechender Eignung, Befähigung und Leistung auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft regelmäßig in die Streitkräfte eingestellt werden können«. Das Vorhaben scheiterte vor allem am Widerstand innerhalb der schwarz-gelben Koalition. CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach lehnte den Vorschlag wegen befürchteter Loyalitätskonflikte nichtdeutscher Soldaten bei Auslands­einsätzen ab. FDP-Generalsekretär Christian Lindner konnte den Überlegungen zu Guttenbergs ebenso wenig abgewinnen. »Deutschland braucht keine Fremdenlegion«, so Lindner damals.
Auch heutzutage sind nicht alle vom Vorhaben der Bundesregierung begeistert. Kritik kommt beispielsweise vom Bundeswehrverband. Geht es nach dessen Vorsitzendem, Oberstleutnant André Wüstner, sollte das Kämpfen und Sterben fürs deutsche Vaterland auch dessen Staatsbürgern vorbehalten bleiben. Der Tageszeitung Die Welt sagte er, dass »die deutsche Staatsangehörigkeit für den Soldaten aufgrund der gesetzlichen Verankerung und als Grundlage für das gegenseitige Treueverhältnis von Staat und Soldat elementar ist und bleiben muss«. Die soldatische Identität habe eine hohe nationale Ausprägung und umfasse »die Bereitschaft, im Zweifel für das zu sterben, was im Kopf und Herzen ist«, so Wüstner. Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), hingegen begrüßte die Pläne. Er glaubt, dass »die Bundeswehr für manchen jungen Europäer eine attraktive Perspektive ist«.
In der Tat könnte das vor allem für all diejenigen zutreffen, die sonst aller Perspektiven beraubt wurden. Im Zuge der Euro-Krise und der von Deutschland verordneten Austeritäts- und Sparpolitik stieg auch die Jugendarbeitslosigkeit in schwindelerregende Höhen. Dem Statistikportal statista.com zufolge sind nach offiziellen Angaben rund 4,2 Millionen Europäer unter 25 Jahren ohne Lohnarbeit. Die tatsächliche Zahl dürfte noch höher liegen. Während in Deutschland die Jugendarbeitslosenquote bei sieben Prozent liegt, sind in der gesamten EU 18,6 Prozent der jungen Menschen erwerbslos. Insbesondere in den Krisenländern Südeuropas haben sie fast keine Chance auf einen Einstieg in den Arbeitsmarkt. In Griechenland ist mehr als die Hälfte der unter 25jährigen erwerbslos, in Spanien sind es 43 Prozent und in Italien 37 Prozent. In Portugal und Zypern liegt die Jugendarbeitslosenquote jeweils bei fast 30 Prozent. Die Einschnitte in die Sozialsysteme infolge der rigorosen Austeritätspolitik verschlechtern die wirtschaftliche Lage für die Betroffenen noch weiter. Viele Familien können sich nur noch durch die Rentenbezüge eines Eltern- oder Großelternteils über Wasser halten. Diese wurden in den vergangenen Jahren jedoch immer weiter gekürzt.
Die Auswanderung in weniger krisengebeutelte Länder wie Deutschland oder Großbritannien ist für viele der oftmals gut ausgebildeten, aber mittellosen jungen Menschen die einzige Chance, ihre ökonomische Situation und die ihrer Familien zu verbessern. Mehr als 500 000 Griechen haben seit 2008 das Land verlassen, unter ihnen etwa 200 000 meist junge Akademiker. Spanien kehren seit Krisenbeginn jährlich mehr als 100 000 Menschen den Rücken. Genau diese Gruppen will die Bundesregierung nun für den Dienst an der Waffe gewinnen. Sie sollen künftig auch ohne deutschen Pass für Deutschland sterben dürfen – und sei es auch nicht aus Überzeugung, sondern nur aus wirtschaftlicher Not heraus.

Erschienen in: Jungle World 28/2016, vom 14.07.2016