Der Streit um den Mindestlohn für Praktikanten
Eine neue Studie zeigt, wie Unternehmen den Mindestlohn für Praktikanten umgehen. Wirtschaftsverbände und die Unionsparteien wollen die Lohnuntergrenze für Praktikanten ohnehin abschaffen.
Anders als es das Klischee besagt, kochen sie keineswegs nur Kaffee. Und selbst Kaffeekochen allein wäre schließlich Arbeit. Es ist also nur folgerichtig, dass seit dem 1. Januar 2015 der Mindestlohn von 8,50 Euro prinzipiell auch für Praktikanten gilt. Betrachtet man die bisher üblichen Dumpinglöhne in diesem Bereich, scheint dies auch bitter notwendig. Vor Einführung der Lohnuntergrenze verdienten fast zwei Drittel aller Praktikanten weniger als 800 Euro brutto im Monat, was eine Vergütung von etwa 4,61 Euro pro Stunde bedeutete. Dank des Mindestlohns müssten die Praktikanten nun also eigentlich fast das Doppelte bekommen.
Die in der vergangenen Woche veröffentlichte Studie »Praktikum und Mindestlohn. Der Faktencheck« der DGB-Jugend zeigt jedoch, dass sich Unternehmen die Ausnahmen im Mindestlohngesetz zunutze machen. So sind im Gesetz zum Beispiel freiwillige Praktika während eines Studiums von bis zu drei Monaten und Pflichtpraktika im Rahmen einer schulischen, betrieblichen oder universitären Ausbildung vom Mindestlohn ausgenommen. Da sich noch im Studium befindliche Praktikanten mit 73 Prozent die große Mehrheit aller Praktikanten stellen, gibt es für Unternehmen viele Möglichkeiten, den Mindestlohn nicht zu zahlen. »Arbeitgeber sind sehr kreativ, wenn es darum geht, bei einem Praktikum den Mindestlohn zu umgehen«, stellt der DGB-Bundesjugendsekretär Florian Haggenmiller fest.
So offenbart die Studie der Gewerkschaftsjugend, dass viele Unternehmen nur noch Praktikumsplätze zur Verfügung stellen, wenn Bewerber sich vorher durch die Universität bescheinigen lassen, dass es sich um ein Pflichtpraktikum handelt – obwohl eindeutig ein freiwilliges Praktikum angestrebt wurde. Auch durch Verkürzung der Praktikumszeiten auf unter drei Monate versuchen Unternehmen, die Mindestlohnregelung auszuhebeln. Dem »Praktikantenspiegel« der Unternehmensberatung Clevis Consult zufolge absolvierten vor der Einführung des Mindestlohns nur etwa elf Prozent der befragten Praktikanten ein bis zu dreimonatiges Praktikum. Nach Inkrafttreten des Gesetzes Anfang 2015 verdoppelte sich diese Zahl fast und lag bei 21 Prozent.
Hinzu kommen neue Praktikumsarten wie beispielsweise Kettenpraktika, bei denen ein dreimonatiges freiwilliges Praktikum mit einem Pflichtpraktikum kombiniert wird. Einige Unternehmen nutzen auch die Reduzierung der vertraglichen Arbeitszeit, um die Regelungen zum Mindestlohn zu umgehen. Offiziell arbeiten Praktikanten dann 20 oder 25 Stunden und bekommen dafür den gesetzlichen Mindestlohn. Tatsächlich arbeiten sie aber 35 oder mehr Stunden. Vermehrt rechnen Unternehmen zudem Sachleistungen an. Gibt es Kaffee gratis oder einen Zuschuss zum Kantinenessen, wird mit Verweis auf die gewährten Vergünstigungen oftmals weniger Lohn ausgezahlt.
Die Studie der Gewerkschaftsjugend wirft auch einen Blick auf die prekäre Situation von Praktikanten im Allgemeinen. So kann gut ein Drittel von ihnen in der Freizeit nicht richtig abschalten, jeder fünfte klagt über Zeitdruck. Mehr als 78 Prozent der Praktikanten machen sich Sorgen um ihre künftige wirtschaftliche Situation. Neben der Vergütung ist auch die Qualität der Praktika meist unzureichend. Oft weichen Unternehmen vom vorher vereinbarten Praktikumsplan ab, auch die Betreuung durch qualifiziertes Personal ist häufig nicht gegeben.
Praktika sind deshalb für Haggenmiller »Teil eines insgesamt unsicheren Berufseinstiegs für junge Menschen«. Die Gewerkschaftsjugend fordert, die Ausnahmen bei Praktika aus dem Mindestlohngesetz zu streichen und darüber hinaus bessere Urlaubs- und Krankheitsregelungen festzulegen. Da viele Unternehmen derzeit bereits geltendes Recht systematisch umgehen, ist es allerdings fraglich, ob andere gesetzliche Bestimmungen die Situation von Praktikanten tatsächlich verbessern können.
Im Gegensatz zu den Gewerkschaften befürchtet die Union, dass das Gesetz bereits in seiner bisherigen Form Praktikumsplätze vernichtet. Gemeinsam sprachen sich der CDU-Studierendenverband Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), die Junge Union (JU) und die CDU-Mittelstandsvereinigung daher für eine Abschaffung des Mindestlohns für Praktikanten aus. »Alle Praktika, die während des Studiums oder der Ausbildung absolviert werden, egal ob freiwillige Praktika oder Pflichtpraktika, sollten immer mindestlohnfrei sein«, heißt es dazu in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Für Paul Ziemiak, den Vorsitzenden der JU, ist das Mindestlohngesetz vor allem ein Hindernis, das den Berufseinstieg erschwert. »Wir brauchen Gesetze, die den Menschen dienen, und nicht Gesetze, die Menschen in ihrer Ausbildung behindern«, so der Funktionär. »Der Mindestlohn vernichtet reihenweise Praktikumsplätze. Hierbei sind vor allem Studenten die Leidtragenden«, sagt auch Jenovan Krishnan, Bundesvorsitzender des RCDS und zugleich Mitglied im CDU-Bundesvorstand. »Als Student ist man ohnehin finanziell abgesichert durch BAföG oder die Eltern«, so Krishnan.
Dass dies nur auf eine Minderheit der Studierenden zutrifft, verschweigt der Jungpolitiker dabei. Während die Fördersätze seit Jahren auf niedrigem Niveau verharren, erhalten weniger als 20 Prozent der Studierenden überhaupt noch BAföG und dies, obwohl viele ihren Lebensunterhalt nicht durch Zuwendungen ihrer Eltern decken können. Wie eine gemeinsame Sozialerhebung des Instituts für Hochschulstatistik und des Bildungsministeriums zeigt, arbeiten zwei Drittel der Studierenden neben dem Studium, die Mehrheit davon, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Mit ihrer Forderung nach einer Abschaffung des Mindestlohns für Praktikanten stößt die Union bei Unternehmensverbänden auf Zustimmung. Diese hatten bereits vor Einführung der Lohnuntergrenze gegen ihre Anwendung bei freiwilligen Praktika protestiert. »Es wäre ein wichtiger Beitrag zum Bürokratieabbau, Praktikumsverhältnisse generell für mindestens zwölf Monate vom Mindestlohn freizustellen«, forderte unlängst die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Das arbeitgebernahe Ifo-Institut befürchtet bereits das Ende der »Generation Praktikum«. Ob ein solches Ende jedoch tatsächlich ein Anlass zur Trauer wäre, ist angesichts der Dumpinglöhne und prekären Arbeitsbedingungen, für die die »Generation Praktikum« steht, eher zweifelhaft.
Erschienen in: Jungle World 35/2016, vom 01.09.2016