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Immer mehr Beschäftigte arbeiten auf Abruf

Die sogenannte kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit (Kapovaz) sorgt für eine Flexibilisierung, die zu Lasten der Arbeitnehmer geht. Das unternehmerische Risiko wird bei diesem Arbeitszeitmodell auf die Beschäftigten übertragen.

Schon lange gibt es die von Betriebswirten als kapazitätsorientierte vari­able Arbeitszeit (Kapovaz) bezeichnete »Arbeit auf Abruf«. Dabei haben die Beschäftigten keine festen Arbeitszeiten, sondern müssen einen Großteil ihrer Arbeitsleistung bei Bedarf erbringen. Wann immer im Betrieb wenig zu tun ist, wird ihre Arbeitsleistung also nicht abgerufen und damit auch nicht bezahlt. Wie lange und wann er die Betroffenen einsetzt, kann der ­Arbeitgeber kurzfristig und nach eigenem Gusto entscheiden. Nun ist das Arbeitszeitmodell zwar nicht neu, doch eine Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) zeigt, dass es sich immer weiter ausbreitet und viele Unternehmen dabei die die gesetzlichen Vorgaben um­gehen.
Etwa 1,9 Millionen Beschäftigte arbeiten dem DGB zufolge inzwischen bereits auf Abruf, rund 13 Prozent aller Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeitern greifen hierzulande auf dieses Arbeitszeitmodell zurück. Dabei ist die Verbreitung in den einzelnen Branchen sehr unterschiedlich. Die meisten Betroffenen finden sich im Einzelhandel, wo zwölf Prozent der Beschäftigten auf Abruf arbeiten; in der Verkehrswirtschaft und Logistikbranche, der Nachrichtenübermittlung und dem verarbeitenden Gewerbe sind es jeweils elf Prozent und im Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen neun Prozent. In vielen Bereichen dürfte die Dunkelziffer wohl um einiges höher liegen. So könnte in der Gastronomie nach Schätzungen des DGB sogar jeder dritte Beschäftigte betroffen sein. Arbeitnehmer, die auf Abruf arbeiten, sind zudem meist in kleinen und mittleren Betrieben tätig. Vor allem dort haben die Unternehmen häufig freie Hand, da Betriebsräte und andere Interessenvertretungen fehlen.
Für die Betroffenen geht die Kapovaz oftmals mit einer ständigen Arbeitsbereitschaft einher.
Ohne wie beim Bereitschaftsdienst dafür bezahlt zu werden, müssen sie immer erreichbar und einsatzbereit sein. Zur fehlenden Planbarkeit der Freizeit kommt das schwankende Einkommen, das ohnehin meist niedrig angelegt ist. Wie bei anderen prekären Beschäftigungsverhältnissen werden auch hier den Betroffenen grundlegende Arbeitnehmerrechte vorenthalten. So umgehen Betriebe oftmals die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder den bezahlten Urlaub, indem sie die Arbeitskraft an diesem Tag nicht abrufen.
Zahlreiche Betriebe verstoßen zudem gegen die ohnehin schon geringen rechtlichen Vorschriften, die das Teilzeit- und Befristungsgesetz, welches unter anderem die Arbeit auf Abruf regelt, vorschreibt. So müssen Arbeitgeber die Arbeitsleistung eines Beschäftigten eigentlich mindestens drei Stunden am Stück in Anspruch nehmen. Außerdem schreibt das Teilzeit- und Befristungsgesetz vor, dass der Arbeitnehmer mindestens vier Tage im Voraus über seinen Einsatz informiert wird.
Dem DGB zufolge erfährt ein Drittel der Betroffenen jedoch erst am selben Tag, wann und ob es zur Arbeit erscheinen kann, ein weiteres Drittel wird erst ein bis drei Tage vorher informiert.
Den Arbeitgeberverbänden sind selbst diese schwachen Schutzvorschriften – die häufig sowieso nicht eingehalten werden – zu weitgehend. So fordert die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) eine Verkürzung der zurzeit geltenden Ankündigungsfrist, in der ein Mitarbeiter erfährt, wann er zum Dienst eingeteilt wird.
Die Forderung der Arbeitgeber nach einer weiteren Aufweichung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes fügt sich in die derzeitige Strategie der Unternehmensverbände, den Arbeitsmarkt weiter zu deregulieren und dabei insbesondere die Arbeitszeiten zu flexibilisieren. So plädieren sie bereits seit längerem für eine Abschaffung des Acht-Stundentages, der im Arbeitszeitgesetz von 1994 festgelegt wurde, sie fordern stattdessen lediglich die wöchentliche Höchstarbeitszeit gesetzlich zu regeln.
»Um mehr Spielräume zu schaffen und betriebliche Notwendigkeiten abzubilden, sollte das Arbeitszeitgesetz von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umgestellt werden«, heißt es beispielsweise in einem Positionspapier der Arbeitgeberverbände, mit dem diese auf eine Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes drängen. Um die weitere Flexibilisierung zu Lasten der Beschäftigten besser zu vermarkten, führen sie als Argument unter anderem das von der Bundesregierung ausgerufene Ziel des Bürokratieabbaus ins Feld.
»Mit der Umstellung auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit würde die Bundesregierung ihrem Anspruch gerecht werden, EU-Normen eins zu eins umzusetzen und einen effektiven Beitrag zum Bürokratieabbau zu leisten«, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer im Gespräch mit der Rheinischen Post.
Unterstützung erhält der Spitzenverband der deutschen Arbeitgeber dabei von Eric Schweitzer, dem Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages.
»Flexible Arbeitszeiten gewinnen angesichts von Digitalisierung und der Notwendigkeit zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer mehr an Bedeutung. Unsere starren Arbeitszeitregelungen mindern allerdings diese Flexibilität. Daher wäre es wichtig, die gesetzlichen Regelungen an die aktuelle Entwicklung anzupassen«, so Schweitzer.
Zu dieser Flexibilisierung der Arbeitszeit gehört auch die »Arbeit auf Abruf«, die zudem das unternehme­rische Risiko auf den Arbeitnehmer verschiebt. War es bisher die Aufgabe des Arbeitgebers, die Arbeitskraft seines Mitarbeiters in einer bestimmten Zeit möglichst gewinnbringend einzusetzen, kann er den Arbeitnehmer nun einfach nach eigenem Ermessen nach Hause schicken, wenn gerade keine Gäste zu bedienen oder Kunden zu betreuen sind.
Die Schussfolgerungen, die der DGB aus seiner Untersuchung zur Kapovaz zieht, sind angesichts der wachsenden Verbreitung dieses Beschäftigungsmodells dürftig.
So fordert er den Ausbau der Weiterbildungsberatung für Arbeitslose und Beschäftigte, da das Risiko von dem Arbeitszeitmodell der Arbeit auf Abruf betroffen zu sein, bei einem höheren Qualifikationsniveau sinkt.
Darüber hinaus weist der DGB zu Recht darauf hin, dass Betriebs- und Personalräte für eine Eingrenzung der ­Arbeit auf Abruf sorgen können, indem sie die Zustimmung zur Einführung der Kapovaz verweigern oder Teilzeitregelungen vereinbaren, die dieses Arbeitszeitmodell ausschließen.
Einem Großteil der Betroffenen wäre damit jedoch nicht geholfen, da die Arbeit auf Abruf vor allem in Betrieben ohne Mitbestimmungsorgane stattfindet. Und auch die Forderung nach einer ersatzlosen Streichung des Paragraph 12 im Teilzeit- und Befristungsgesetz, der die Arbeit auf Abruf regelt, dürfte unter der derzeitigen Bundesregierung nur wenig Aussicht auf Erfolg haben.