Die geplante Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes
Die große Koalition plant eine weitere Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Mit mehr Sach- statt Geldleistungen sollen angebliche Fluchtanreize beseitigt werden.
Nur zwei Tage nach dem Wahlerfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern gab das Bundesarbeitsministerium bekannt, die Geldleistungen für Flüchtlinge weiter einschränken zu wollen – und somit eine der Forderungen der rassistischen Partei aufzugreifen. Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) reichte hierzu einen Gesetzentwurf zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes in die Ressortabstimmung ein, der deutliche Kürzungen beim notwendigen Grundbedarf vorsieht. So soll der Leistungssatz, der zur Deckung der Grundbedürfnisse wie Ernährung und Kleidung gedacht ist, für Asylsuchende, die in Wohnungen untergebracht sind, von derzeit 219 auf 187 Euro im Monat sinken. Die Kosten für Strom und Wohnungsinstandhaltung sollen direkt von der zuständigen Behörde übernommen werden, wie es schon bei denen für Unterkunft, Heizung und Hausrat der Fall ist. Bislang bekommen Flüchtlinge dafür einen Pauschalbetrag, der für ihren »notwendigen Bedarf« vorgesehen ist. Nach den Plänen des Arbeitsministeriums reduziert sich die monatliche Auszahlung an Flüchtlinge, die außerhalb von Sammelunterkünften in der eigenen Wohnung leben, künftig von 354 auf 332 Euro.
Auch Flüchtlinge, die in Heimen leben, sollen in Zukunft weniger Bargeld zur Verfügung haben, nämlich nur noch 266 statt 284 Euro. Zurückzuführen ist dies auf eine neue sogenannte Regelbedarfsstufe für Asylsuchende. Mit der Begründung, dass in Gemeinschaftsräumen der Sammelunterkünfte Gebrauchsgegenstände von mehreren Personen genutzt werden, sollen die Flüchtlinge dort künftig nur noch 90 Prozent des bisherigen Satzes für Alleinstehende erhalten. Dasselbe gilt für Ehepartner in der Familienwohnung.
Angehoben werden sollen dagegen die Leistungen für den »notwendigen persönlichen Bedarf«. Dieses sogenannte Taschengeld, das erst im März gekürzt wurde, soll im nächsten Jahr für alleinstehende Flüchtlinge von 135 auf 145 Euro steigen. Die Bundesregierung hätte wohl auch hier lieber gespart, ist jedoch gesetzlich zur Anpassung verpflichtet, da die im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehenen Beträge entsprechend den Hartz-IV-Sätzen regelmäßig auf Grundlage einer Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamts neu festgesetzt werden müssen.
Im Zentrum des Gesetzentwurfs steht das von der Großen Koalition ausgerufene Ziel, einen möglichst hohen Anteil von Sachleistungen anstelle von Barauszahlungen zu erreichen. Bereits im Oktober vergangenen Jahres beschloss der Bundestag, die Unterstützung für Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen auf Sachleistungen umzustellen. Im Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz von Union und SPD hieß es damals: »Um mögliche Fehlanreize zu beseitigen, die zu ungerechtfertigten Asylanträgen führen können, soll der Bargeldbedarf in Erstaufnahmeeinrichtungen so weit wie möglich durch Sachleistungen ersetzt werden.«
Mit angeblichen Fehlanreizen durch Bargeldauszahlungen wird auch für die geplante Änderung der Leistungen argumentiert. Außerdem soll verhindert werden, dass »Schlepper bei den Flüchtlingen Geld für die illegale Fluchthilfe eintreiben können«, wie die Süddeutsche Zeitung mit Verweis auf Koalitionskreise berichtet. Insbesondere Politiker von CDU und CSU drängen seit längerem auf eine Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Der Wirtschaftsrat der CDU lobte den Gesetzentwurf aus dem SPD-geführten Arbeitsministerium daher. »Das ist ein entscheidender und überfälliger Schritt, um die im europäischen Vergleich zu hohen finanziellen Anreize für Migranten und Asylbewerber zu drosseln«, sagte der Generalsekretär Wolfgang Steiger. »Mit der Reduzierung der finanziellen Leistungen und einem stärkeren Fokus auf Sachleistungen werden die richtigen Weichen gestellt.« Steiger fordert zugleich, abgelehnte Asylsuchende schnell abzuschieben und die nordafrikanischen Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären.
Tatsächlich wird sich mit den geplanten Leistungskürzungen vor allem die ohnehin schon prekäre materielle Situation von Flüchtlingen weiter verschlechtern. Die Regelsätze für Asylsuchende liegen bereits deutlich unter den Hartz-IV-Leistungen, die als Existenzminimum gelten. Eine weitere Umwandlung der Geld- in Sachleistungen sorgt für weitere Entmündigung und soziale Ausgrenzung.
In der Opposition stößt der Entwurf deshalb auf scharfe Kritik. »Wenn die Bundesregierung die Grundsicherungsleistungen für Asylbewerbende noch weiter nach unten drücken will, wird dadurch die Integration noch weiter erschwert«, sagt Wolfgang Strengmann-Kuhn, der sozialpolitische Sprecher der Grünen. Er fordert stattdessen die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes: »Konsequent wäre die Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes, um dem Existenzminimum zweiter Klasse endlich eine klare Absage zu erteilen.«
Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde im Zuge der rassistisch aufgeladenen Asyldebatte der neunziger Jahre eingeführt. In Folge des Asylkompromisses zwischen den damaligen Regierungsparteien CDU, CSU und FDP sowie der oppositionellen SPD im Dezember 1992 ersetzte es die bis dahin im Bundessozialhilfegesetz enthaltenen Regelungen zur Sozialhilfe für Asylsuchende. Die erhebliche Schlechterstellung der Flüchtlinge durch das Asylbewerberleistungsgesetz hatte das Ziel, »Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden«. Es flankierte die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl auf leistungsrechtlicher Ebene.
Mit der Forderung nach Abschaffung dieses Sondergesetzes für Flüchtlinge steht Strengmann-Kuhn nicht allein. Seit langem setzen sich Flüchtlingsorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes ein. Dieses Ziel wurde zwar bisher nicht erreicht, das Bundesverfassungsgericht erklärte 2012 die bisherigen Leistungssätze jedoch für »evident unzureichend« und deshalb für verfassungswidrig. Es forderte die Bundesregierung auf, unverzüglich eine verfassungskonforme Neuregelung vorzulegen. Begleitet von Protesten und einer breiten Kampagne zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und für die rechtliche Gleichstellung von Asylsuchenden mit anderen Leistungsberechtigten verabschiedete der Bundestag 2015 eine novellierte Fassung, die zwar die Situation für Flüchtlinge erheblich verbessert, aber sowohl bei den Leistungssätzen als auch der medizinischen Versorgung weit hinter den Hartz-IV-Regelungen zurückbleibt. Diese Schlechterstellung soll nach den bereits erfolgten Eingriffen in das Leistungsrecht durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz nun ein weiteres Mal verstärkt werden. Der AfD dürfte es gefallen, kann sie doch erneut damit werben, dass sie ihre Forderungen auch ohne Regierungsbeteiligung durchsetzt.