Der Lehrling holt den Leberkäse

Junge Gewerkschafter drängen auf eine Reform der Ausbildungsgesetzgebung

 

In ihrem Koalitionsvertrag haben CDU und SPD eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes vereinbart. Das zuständige Bildungs­ministerium sieht jedoch keinen Änderungsbedarf. Die DGB-Jugend drängt hingegen darauf, noch in dieser Legislaturperiode eine umfassende Reform vorzunehmen.

Sie waren trotz Nieselregen und Kälte gekommen. Etwa 100 junge Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter hatten sich im November vor dem Bildungsministerium in Berlin versammelt. Unter dem Motto »Ausbildung besser machen« protestierten sie mit Nebelkerzen, Transparenten und Trillerpfeifen gegen die Politik der Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU). Wanka verweigert seit langem hartnäckig ein Gespräch mit der DGB-Jugend zur geplanten Novellierung des Berufsbildungsgesetzes (BBiG). Auf Gesprächsangebote der Gewerkschaftsjugend reagierte sie bislang nicht einmal. »Wenn Wanka nicht zu uns kommt, kommen wir zu ihr«, hieß es deshalb in einer Stellungnahme der DGB-Jugend zum Protest vor dem Ministerium.
Die Gewerkschaftsjugend fordert seit langem eine Reform des BBiG. Das 1969 verabschiedete Gesetz bildet die Grundlage der dualen Ausbildung in mehr als 300 Berufen. Es war auch ein Resultat der »Lehrlingsbewegung« der sechziger Jahre. In dem Gesetz wurden zum ersten Mal zentrale Fragen der Ausbildung wie etwa die Rechte von Auszubildenden, die Eignung von Ausbildungsstätten und Ausbildern sowie die Ordnungsverfahren der dualen Berufsausbildung gesetzlich geregelt.
Seitdem hat sich im Bereich der Ausbildung vieles verändert, während das Gesetz bis auf eine 2005 vorgenommene kleine Änderung gleich blieb. Im Koalitionsvertrag 2013 hatten Union und SPD sich auf eine Novellierung des BBiG verständigt. Die beiden Parteien wollten die »duale Ausbildung stärken und modernisieren« sowie »Anpassungen prüfen, insbesondere im Hinblick auf die Erhöhung der Durchlässigkeit, eine Stärkung der Ausbildungsqualität und gestufter Ausbildungen«. Aus Sicht der Gewerkschaftsjugend ist das auch notwendig, um die Berufsausbildung an die derzeitigen Gegebenheiten anzupassen und die Situation für Auszubildende zu verbessern.
So fordert die DGB-Jugend unter anderem, den Geltungsbereich des BBiG auszudehnen. Vor allem neue Ausbildungsgänge und -strukturen werden oftmals nicht im alten Gesetz geregelt, was zu schlechteren Ausbildungsbedingungen führt. Insbesondere für die Praxisphasen von Absolventen dualer Studiengänge soll das BBiG nach Ansicht der DGB-Jugend künftig Anwendung finden. Während die Zahl der dual Studierenden immer größer wird, gelten für sie die Schutzbestimmungen der klassischen dualen Berufsausbildung häufig nicht. Vertragliche Bindungsklauseln über das Studium hinaus, Rückzahlungspflichten, die dual Studierende ans Unternehmen binden, Probleme mit der Freistellung für Prüfungen und Seminare an der Hochschule und unzureichende Mindeststandards für die Betreuung im Betrieb gehören deshalb für dual Studierende zum Alltag.
Daher will die Gewerkschaftsjugend auch erreichen, dass die Lehr- und Lernmittelfreiheit im BBiG verankert wird, alle im Zusammenhang mit der Ausbildung entstehenden Kosten sollen vom Ausbildungsbetrieb übernommen werden. Ebenso ist es nach Ansicht der Gewerkschafter notwendig, einheitliche Qualifizierungsstandards für Ausbilder festzulegen, verbunden mit einer Verpflichtung zur Weiterqualifizierung.
Es gäbe also schon lange viel zu tun. Doch erst zweieinhalb Jahre nach Verabschiedung des Koalitionsvertrags, im März 2016, legte Wanka mit ihrem Evaluationsbericht zum Berufsbildungsgesetz eine Analyse der Ausbildungsbedingungen aus Sicht des Bildungsministeriums vor. Der Bericht sollte eigentlich die Grundlage für die Novellierung des BBiG bilden. Doch kommen die Autoren des Berichts zu dem Schluss, dass es kaum Änderungsbedarf gibt. So finden Fragen der Ausbildungsqualität wie die Finanzierung schulischer Ausbildungsmittel oder betrieblicher Ausbildungspläne ebenso wenig Erwähnung wie der Umgang mit Überstunden, die Anrechnung von Berufsschulzeiten bei volljährigen Auszubildenden und die Übernahmeregelungen für Auszubildende. Die Forderung der DGB-Jugend, den Geltungsbereich des BBiG auf dual Studierende zu erweitern und Kriterien für die Eignung von Ausbildern zu definieren, lehnt die Bundesregierung gänzlich ab.
»Mit diesem Bericht beweist das ­Ministerium, dass die Regierung keinerlei Interesse an der Verbesserung der Ausbildungsbedingungen hat«, kritisierte deshalb Florian Haggenmiller, Bundesjugendsekretär des DGB, in einer Stellungnahme die Studienergebnisse. Probleme wie Überstunden, ausbildungsfremde Tätigkeiten und fehlendes Ausbildungspersonal gehörten zum Alltag von Auszubildenden, würden aber weiterhin nicht gelöst. »Der Bericht ist unambitioniert, technisch und realitätsfremd«, so das Urteil der Gewerkschaftsjugend.
Sie will deshalb größere Aufmerksamkeit für das Thema wecken und für Unterstützung werben, damit das Bildungsministerium doch noch in dieser Legislaturperiode eine umfassende Reform des Gesetzes auf den Weg bringt. Dabei verweisen die jungen Gewerkschafter unter anderem auf den »Ausbildungsreport« des DGB, der deutlich mache, wie nötig eine Verbesserung der Ausbildungsbedingungen in vielen Branchen sei.
Der in diesem Jahr zum elften Mal vorgestellte »Ausbildungsreport«, für den mehr als 13 000 Nachwuchskräfte aus verschiedenen Branchen und Berufen befragt wurden, zeigt, dass sich über die Hälfte der Auszubildenden durch schlechte Ausbildungsbedingungen und -anforderungen stark belastet sieht. Fast 60 Prozent der Auszubildenden kommen auch krank zur Arbeit. Über ein Drittel muss regelmäßig Überstunden machen, die Hälfte von diesen bekommt dafür keinen Ausgleich in Form von Freizeit oder Bezahlung. Auch die Aussichten nach der Ausbildung sind für viele unsicher. Fast die Hälfte aller Befragten wusste im letzten Ausbildungsjahr noch nicht, ob sie im Anschluss übernommen wird. Die von der Bildungsministerin hochgelobte Ausbildungsqualität wird in dem Report anders beurteilt. So liegt einem Drittel der Auszubildenden kein betrieblicher Ausbildungsplan vor, so dass diese die Ausbildungsinhalte nicht selbst überprüfen können. Jeder siebte Auszubildende erhält keine fachliche Anleitung durch den Ausbilder.
»Mit dem Ausbildungsreport weist die DGB-Jugend Jahr für Jahr auf Missstände im dualen Ausbildungssystem hin. Es ist beschämend, dass Teile der Bundesregierung dies ignorieren und keinen Handlungsbedarf sehen, das Gesetz im Sinne der Auszubildenden besser zu machen«, so Haggenmiller. Es ist wahrscheinlich, dass Bildungsministerin Wanka noch häufiger ungebetenen Besuch bekommt, sollte sie sich einem Gespräch mit den jungen Gewerkschaftern weiterhin verweigern.

Erschienen in: Jungle World 02/2017, vom 12.01.2017